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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Der Zufall als Mitarbeiter
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0214
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DER ZUFALL ALS MITARBEITER

DER berechnenden Absicht künstlerischer Men-
schenarbeit gesellte sich von jeher so gern
ein verdienstvoller Mitarbeiter, dessen Thätig-
keit sich weder durch Fleiss noch Kunst ersetzen liesse.

Die Technik der Keramik weiss manches Wort
davon zu berichten. Bei dem, was die Franzosen
„art du feu« nennen, bei der Erzeugung spielender
Farbenreize im Brande, hat der Zufall oft seine Hand
hineingemischt. Auch die Überlaufglasuren verdanken
ihm die kecken und glücklichen Wirkungen. Wie
vermöchte der Pinsel mit seiner trockenen Korrekt-
heit so leichte, fliessende Formen zu erfinden, wie sie
ganz von selbst im glühenden Ofen durch die
schmelzenden Massen hervorgerufen werden. Oder
wie wollte man die zierlichen Zeichenfeinheiten ent-
behren, mit denen die Sprünge in der Glasur der
„Craqueles" die Flächen reizvoller beleben als die
Überladung mit anspruchsvollen Kompositionen dies
vermöchte.

Ähnlich steht es in der Metalltechnik
um die Kennzeichen des Hammerschlages
und noch auf manchem anderen Gebiet.

So bewundert man z. B. die Drucke
japanischer Flachmuster mit Hilfe von
Schablonen, die zur Dekorierung von
Stoffen bestimmt sind. Die gewohnte
Feinheit der Naturbeobachtung, die glück-
lichste Füllung des Raumes! Aber zwi-
schen den Flächen des eigentlichen Mus-
ters breitet es sich eben nur hingehaucht
wie ein zartes Netzwerk dünner Fäden
aus, das durch den Gegensatz die an sich
zierlichen Formen des Musters als kräf-
tige Dunkelheiten erscheinen lässt. Wie
ist dieser Spinnwebenschleier entstanden?
Selbst einer Federzeichnung könnte diese
absolut naturtreue Darstellung wirklicher
Fäden mit all ihren Kräuselungen und
Verschiebungen nimmer gelingen, wieviel
mehr unmöglich wäre sie dem Silhouetten-
schneider, der mit noch so scharfen Mes-
sern jene Muster aus starkem Papier auf
einer Glasscheibe als Unterlage zu schnei-
den pflegt. Wo stammt die täuschende
Nachahmung also her? Das Rätsel löst
sich aufs einfachste. Dies scheinbare Netz
ist der Abdruck eines wirklichen, feinen
Gewebes, mit dessen Hilfe die einzelnen

Schablonenteile, welche sich nicht gegenseitig berüh-
ren, zusammengehalten werden. Diese dünnen Strich-
führungen waren ursprünglich nicht einmal beabsichtigt,
das Silhouettenmuster allein sollte den Flächenschmuck
abgeben. Da stellte sich der Zufall, oder wenn man
in diesem Fall lieber will, die Technik bereichernd
ein und ergänzte die Absicht des Erfinders.

Die allgemeine Richtung der heutigen Flächen-
dekoration hält es mit der freien Laune statt mit dem
starren Gesetz. Darum darf sich ihr die verschwiegene
Hilfe jenes unsichtbaren Mitarbeiters gleichgeartet an-
schliessen. Das Resultat wird ein harmonisches sein.

Aber wenn der förmlich herbeigerufene Geist
sich nicht in die vorgeschriebene Grenze bannen lässt?
Wenn er, einmal kühn geworden, sich unentbehrlich
dünkt und sich auch da zum Mitregenten aufwirft,
wo er seiner Art nach keine weise Ordnung, sondern
eine Misswirtschaft einführen könnte, welche endlich
schlimme Verwirrung, wo nicht gar eine Revolution

Haase, Entwurf für Kachelmalerei in Delfttechnik,
Hamburg.

ausgeführt von H. A. Wessely.
 
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