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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Schmidt, Karl Eugen: Ein französischer Kunsthandwerker: François Rupert Carabin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0080
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EIN FRANZÖSISCHER KUNSTHANDWERKER: FRANCOIS RUPERT CARABIN

centrale des arts decoratifs eingeladen wurde, Vor-
schläge zur Verbesserung des Unterrichts in den Kunst-
gewerbeschulen und zur Hebung des Kunstgewerbes
überhaupt zu machen. Statt dies zu thun, hielt unser
Individualist eine wahre Brandrede, worin er den
Leuten mit dürren Worten sagte, das beste, was dem
Kunstgewerbe passieren könne, sei die Auflösung der
Union centrale; denn diese sei die Ursache, dass durch
das zähe Festhalten an alten Formen und Stilen das
Kunstgewerbe keine lebendige und wachsende Kunst,
sondern ein totes und versteinertes Fabrikarbeiten sei.
Auf solche radikale Ratschläge waren die Leiter der
Union centrale nicht gefasst, und selbstverständlich
begingen sie den von Carabin empfohlenen Selbst-
mord nicht, ebensowenig wie sie etwa eine Arbeit dieses
Künstlers für ihr Museum kauften. Denn es giebt
wenig Menschen, in deren Achtung man steigt, wenn
man ihnen unangenehme Wahrheiten sagt, und die
Herren von der Union centrale gehören nicht zu
diesen Wenigen.

Dieses lange Verweilen bei der Person des Künst-
lers würde sich nicht rechtfertigen, wenn es sich nicht
um eine so impulsive, ursprüngliche und eigenartige
Individualität handelte, eine Individualität, die sich
weder in ihrem Leben noch in ihrem Schaffen, weder
in ihren Worten noch in ihren Werken verleugnen
kann und die uns ebenso deutlich erscheint, wenn wir
mit Carabin im Kaffeehause plaudern wie wenn wir
vor einem seiner grösseren Möbel stehen oder eines
seiner kleinen „bibelots", und sei es auch nur ein
Stockknopf oder ein Fingerring, betrachten. Ehe wir
den Künstler in der Werkstatt aufsuchen, sei noch
im Vorübergehen erwähnt, dass Carabin trotz seines
exotischen Namens in Zabern im Elsass geboren
ist und ein vorzügliches Elsässer Deutsch spricht,
wenn ihn die Lust dazu ankommt. Als seine Eltern
nach dem Kriege die Heimat verliessen, um sich in
Frankreich anzusiedeln, zählte Carabin zehn Jahre. Er
besuchte die Volksschule und kam dann als Lehrling
zu einem Gemmenschneider. Abends ging er in die
Fortbildungsschule, wo er zeichnen und modellieren
lernte, und erst wenn er gegen elf Uhr nach Hause kam,
gab es eine ordentliche Mahlzeit für ihn. Jeden Morgen
steckte ihm seine Mutter ganze fünf Sous zu, und diese
Summe reichte nicht nur zu dem gewöhnlich aus
trockenem Brot bestehenden Mittagessen, sondern
davon wurde noch gespart, um am Sonntag „standes-
getnäss" auftreten zu können. Von dem Gemmen-
schneider kam er in eine grosse Möbelfabrik, und
hier geriet er an seine eigentliche Bestimmung; denn
obgleich er in Eisen, Zinn, Bronze, Gold, Stein,
Elfenbein, Leder, Steingut und allen sonstigen mög-
lichen Dingen arbeitet, ist doch Holz sein Lieblings-
material, und zu allen seinen grösseren Arbeiten hat
er sich desselben bedient. Als Kuriosum sei noch

erwähnt, dass er ein paar Jahre lang für einen Leichen-
bestatter arbeitete, d. h. dass er im Auftrage desselben
Totenmasken abnahm, eine Beschäftigung, die seinem
lustigen Gemüt weiter keinen Schaden gethan hat.
Seit etwa zehn Jahren folgt Carabin nur noch seinen
eigenen Ansichten und Gedanken, und nachdem er
so lange Zeit gerungen hat, scheint er jetzt endlich
auch im Publikum allmählich zur Anerkennung zu
gelangen, während er bisher nur im engen Kreise
der Künstler selbst bekannt und geschätzt war.

Dieser Entwicklungsgang Carabin's führte ihn
naturgemäss zum Kunsthandwerk, und obgleich er
sich hier und da auch mit der sogenannten reinen
Kunst abgiebt, so ist doch bei allen seinen Ar-
beiten das Bestreben offenbar, die Wohnstube zu
schmücken. Von dem akademischen Kunstwerke,
welches nur dazu taugt, in Museen aufgestellt zu
werden, will er nichts wissen, und fast immer haben
seine Arbeiten nicht nur den Zweck, dem Auge zu
gefallen, sondern auch irgend einen nützlichen Dienst
zu leisten. Dies ist bei seinen grossen Hausgeräten
nicht minder der Fall als bei seinen kleinen Schmuck-
gegenständen, und wenn er sich bisweilen dazu ver-
führen lässt, eine Arbeit ohne Rücksicht auf ihren
praktischen Nutzen auszuführen und dabei nur ästhe-
tischen Anschauungen zu folgen, so dient uns dies
nur wieder dazu, über die Vielseitigkeit und Origina-
lität dieses Künstlers zu staunen. In diese Reihe sind
seine kleinen Bronzestatuetten zu stellen, worin er uns
die Pariser Tänzerinnen in ihrem kecken Übermut
und ihrer zügellosen Grazie zeigt. Diese Statuetten
mit der plötzlich festgehaltenen tollen und doch an-
mutigen Bewegung gehören zu dem besten, was die
moderne Bildhauerkunst in diesem Grössenmasse ge-
schaffen hat, und sind in ihrer Art geradezu unüber-
treffliche Meisterwerke. Die ganze Grazie derTanagra-
figürchen liegt in ihnen, aber dazu kommt der prickelnde
Reiz der ungezogenen Tänzerin des Moulin rouge,
wie ihn nur ein richtiger gamin de Paris wiederzugeben
versteht, ein Reiz, den Cheret in seinen Plakaten zu
ideal, Forain in seinen satirischen Zeichnungen zu bitter
und ironisch schildert, während Willette wiederum zu
wenig Satiriker ist, um der Grisette ganz gerecht zu
werden. Sieht man aber die kleinen Tänzerinnen
Carabin's vor sich, so gewinnt man daraus ein getreues
Bild der quecksilbernen, lebenslustigen, ungezogenen
und oft nur massig tugendhaften Pariserin, wie sie
uns auf den Boulevards und im Bois de Boulogne,
in den Folies-Bergere, auf dem Bai Bullier und in
den Künstlerkneipen des Montmartre auf Schritt und
Tritt erscheint.

Die Werkstätte Carabin's liegt in einer engen
und schmutzigen Gasse, und die rechte Wahrheit zu
sagen, weist der Ort seiner Thätigkeit dieselben Eigen-
schaften der Gasse auf. Wo mit Thon und Gyps,
 
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