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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Minkus, Fritz: Die Winterausstellung im k. k. Museum für Kunst und Industrie in Wien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0100
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DIE WINTERAUSSTELLUNG IM K. K. MUSEUM
FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN

REFORMEN treffen immer eine Anzahl Leute
an ihren schwächsten Stellen: sei es, dass sie
ihnen erbgesessene Rechte oder vermeintliche
Privilegien nehmen, die ihnen sehr zu statten kamen;
sei es, dass sie sie aus altgewohntem Schlendrian auf-
rütteln, der ihnen sehr bequem war; sei es, dass sie
in ihnen den Neid stacheln, sie nicht selbst ersonnen
zu haben; sei es, dass sie ihnen die niemals gern
erkannte Thatsache vor Augen führen, dass sie und
mit ihnen die Ansichten, die sie ein Leben lang ver-
fochten, alt geworden und — es ist dies einmal der
Lauf der Dinge — neuen Männern, neuen Ansichten
weichen müssen!

So hat es denn, solange die Welt steht, keine
Reform gegeben, gegen die nicht opponiert worden
wäre, und so hat auch die Reform, die sich im öster-
reichischen Museum vollzogen, ihre Opposition ge-
funden. Das ist naturgemäss und nicht zu verwundern;
zu verwundern ist bloss, dass diese selbstverständliche
Sache im Wiener Publikum Sensation macht und zu
einer cause celebre aufgebauscht wird: ein Beweis, wie
wenig man in Österreich an Reformen gewöhnt ist, dass
man ihre natürlichsten Konsequenzen anstaunt!

Dass die Gegnerschaft, deren sich die reforma-
torische Thätigkeit des österreichischen Museums er-
freut — erfreut, denn es giebt Anfeindungen, die Ehre
machen! — eine verhältnismässig zahlreiche ist und
sich nicht gerade in der zartesten Form äussert, ist
ebenfalls natürlich; die Reform im österreichischen
Museum hat ja alle die wunden Punkte getroffen, aus
denen Oppositionen erwachsen: sie hat vermeintliche
Privilegien genommen, indem sie über die Köpfe
einiger im Geschmacksleben Wiens über Gebühr sich
breitmachender Geschäftsleute hinweg, ihren eigenen
Zielen resolut nachstrebte; sie hat aus altgewohntem
Schlendrian aufgerüttelt, der einstens viel gepriesenen
„Wiener Gemütlichkeit", die sich heute leider nur
mehr auf Gebieten findet, auf denen sie am wenigsten
am Platze ist, hart zugesetzt, indem sie rastlose Rührig-
keit, frisches Vorwärtsgehen gebot; sie hat den Alten
gezeigt, dass sie alt geworden, sie hat den Neid ge-
stachelt mit ihren Erfolgen.

Die Direktion des österreichischen Museums nennt
im Vorwort zum Katalog der diesjährigen Winter-
ausstellung diese Erfolge »bescheidene«; ich glaube,
man darf sie getrost „glänzende" nennen. Freilich

ist „glänzend" nicht ganz das richtige Wort. Denn
auch Talmigold und Similibrillanten glänzen, und auch
unser sogenannter „Tapeziererstil«, gegen den das
österreichische Museum so siegreich zu Felde zieht,
verstand zu glänzen und dies nur zu sehr! Darin
lag sein Hauptgebrechen, daran ist er zu Grunde ge-
gangen. Der bombastische Wust, mit dem er in den
letzten Jahren die Weihnachtsausstelhmgen erfüllte, hat
das Publikum eine Zeitlang geblendet, zum Schlüsse
aber die feinsinnigeren Kreise gelangweilt und immer
mehr gelangweilt, je mehr er zum leblosen Schatten
jener gewiss hochbedeutsamen, aber beendeten Periode
in der Entwicklungsgeschichte des Kunsthandwerks
zusammenschrumpfte, die ihn seiner Zeit zu gesundem
Leben erweckt hatte, und je mehr die gebildeteren
Schichten des Publikums durch die moderne Litteratur,
die moderne Malerei und Plastik, durch unser ganzes
modernes Kulturleben zu modernem Empfinden ge-
schult wurden.

Es ist eine auffällige und bedauerliche Thatsache,
dass die breiteren Kreise des Wiener Publikums sich
um vieles leichter an die moderne Litteratur, an die
moderne Malerei gewöhnt haben, als sie sich an das
moderne Kunsthandwerk gewöhnen; das liegt wohl
hauptsächlich daran, dass der Durchschnittswiener, ob-
wohl er ja nicht gerade zu jenen zählt, die geistige
Interessen besonders rege pflegen, denn doch allmäh-
lich einsehen gelernt hat, dass ein gewisses minimales
Mass von litterarischem und künstlerischem Verständ-
nis zum primitivsten Rüstzeug d,es zeitgenössischen
Kulturmenschen zu zählen hat, dass er aber, trotzdem
Wien ja ehedem auf dem Kontinent an der Spitze der
kunstgewerblichen Regenerationsbewegung geschritten
war, sich noch nicht zu der einfachen, in Deutschland,
England, Frankreich längst allgemein gewordenen Er-
kenntnis des eigentlichen Wesens des Kunstgewerbes
aufgeschwungen hat: ihm gilt heute noch jene alt-
väterische, unglückselige Grenzlinie zwischen Nütz-
lichem und Schönem, die einst die protzige „Schönheit»
der „guten Stube" von der nüchternen Nützlichkeit
der Wohnräume schied, er kennt heute noch das Wort
„Kunstgewerbe" nur mit einem langen Gedankenstrich
zwischen seinen beiden Teilen, Kunst — Gewerbe,
hie Kunst — hie Gewerbe!

Viel Schuld an diesem geschmackvergiftenden
Übel trägt zweifellos der Umstand, dass der Wiener
 
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