Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

DOI Artikel:
Minkus, Fritz: Die Winterausstellung im k. k. Museum für Kunst und Industrie in Wien, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0112
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
104 DIE WINTERAUSSTELLUNG IM K- K. MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN

ist gleich gut gezeichnet, gleich gut gearbeitet, und,
dass er nur das Viertel kostet, das ist bei Leibe keine
Schande!

Diese gleichwertige Nebeneinanderstellung von
Luxuriösem und Einfachem bildet, glaube ich, weitaus
das wesentlichste Moment im Programm der Reform-
thätigkeit des österreichischen Museums: mit ihr greifen
die Erfolge der letzteren weit hinaus über das Ge-
biet nationalökono-
mischer und ästhe-
tischer Wirksamkeit
in das Gebiet social-
politischer und ethi-
scher Wirksamkeit.
Die formale Diffe-
renzierung, aber
gleichwertige Be-
handlung von Kost-
barem und Wohl-
feilem wird, konse-
quent durchgeführt,
eine schwere ethi-
sche Krankheit un-
serer Zeit zu heilen
im stände sein, das
Daniederliegen des
gesunden Selbstbe-
wusstseins der unbe-
mittelteren Klassen,
— ein sittliches
Defekt, das immer
bedrohlicher wurde,
je mehr die Talmi-
industrie den von
der gediegenen In-
dustrie völlig unbe-
achteten unbemittel-
teren Kreisen die
Hand bot, den Luxus
der Reicheren, hun-
dertfach verbilligt
und tausendfach ver-
schlechtert, in er-
niedrigender Nach-
äffung zu imitieren.

Das wird jetzt anders werden, da die berufenen Instanzen
die Geschmacksrichtung des kleinen Mannes und mit ihr
einen wichtigen Punkt seiner ethischen Anschauungen
nicht mehr der korrumpierenden Leitung durch die
Talmiindustrie preisgeben, sondern selbst sich seine
Führung angelegen sein lassen, da die moderne kunst-
gewerbliche Produktion den Konsumenten nicht zuerst
fragt: „Was soll dein Heim den anderen bieten?
was willst Du scheinen?" sondern „Was soll es dir
bieten? was brauchst Du?"

Wandschirm, Birnholz, ausgeführt von Sigmund Ja RAY, die Schnitzerei von Franz Zelezny, Wien.

Dieser kraftvolle Zug nach gesundem Egoismus
ist es, der der diesjährigen Winterausstellung unseres
Museums ihren eigenartigen Reiz verleiht. Hinsicht-
lich des Betonens des eigenen Bedürfnisses im Gegen-
satz zum früher beliebten Haschen nach der Bewun-
derung des anderen bietet ein vergleichender Blick
auf das von F.Schönthaler&Söhiie ausgeführte „ Wohn-
und Schlafzimmer mit Erker, für ein junges Mädchen"

(Fig. 1) und den von
der gleichen Firma
im Vorjahre ausge-
stellt gewesenen
Damensalon') ein
bezeichnendes Bei-
spiel: der vorjährige
Damensalon Schön-
thaler's war, bei all
seinen grossen Vor-
zügen, von einer ge-
wissen effekthasche-
rischen Phantastik
nicht ganz freizu-
sprechen und stand
durch dieses Streben

nach packender
Wirkung, bei aller
Modernheit seiner
Farben - und For-
mengebung, mit den
Tendenzen des alten
Tapeziererstils in
einigem Zusammen-
hang; das Mädchen-
zimmer, das die-
selbe Firma im heu-
rigen Jahre ausge-
stellt hat, buhlt nicht
um Anstaunung: in
der ängstlichen Ver-
meidung allen
Schwulstes, in der
knappen, nur dem
praktischen Bedürf-
nis Rechnung tra-
genden Formen-
sprache und Gruppierung seines Mobiliars würde es
beinahe einen nüchternen Eindruck hervorrufen, würde
nicht der unendliche Zauber seiner Farbenstimmung,
die unbeschreiblich feine Harmonie aller Töne — der
hellen Farbe des Ahornholzes, des zarten Grüns der
Tapeten, des sanften Violetts des Bettvorhanges, des
Kupferrots der Waschgefässe — ihm einen erquicken-

1) Siehe die Abbildungen Seite 103 und 105 im „Kunst-
gewerbeblatt" N. F. IX. Jahrg.
 
Annotationen