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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Ein Bahnbrecher des Kunsthandwerks?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0120
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EIN BAHNBRECHER DES KUNSTHANDWERKS?

finden, und ungerufen stellt sich eins dieser reizenden
Geschöpfe mit ihrer ungezogen katzenhaften Grazie,
von denen es in seinem Künstlerkopfe spukt, dazwischen
und nimmt den Platz ein, der einem tragenden Gliede
des Holzgerüstes zukäme — so wird das eben kein
Tisch und kein Stuhl. Andere haben die Konstruktions-
gedanken ihrer Geräte symbolisierend mit ■ Natur-
formen umkleidet. Aber ehe sie das thaten, haben
sie die Natur absichtsvoll entseelt, um ihr den Schein
von Unerschütterlichkeit zu geben, der jedem Teil
eines Gerätes zukommt. Aber Carabin's Gestalten
lacht das übermütige Leben ganz unverhüllt aus den
Augen, als könnte ihnen die Laune kommen, einmal
mutwillig den Sitz über den Haufen zu werfen, auf
dem wir uns niederlassen wollen. Und wie soll eine
Figur die Last tragen, wenn sie selbst nur — wie
dies gelegentlich vorkommt — ganz unorganisch vor
einen Holzbalken geheftet ist, unbekümmert darum,
dass ihre Füsse ohne Halt in der leeren Luft schweben.
Ein Luxusmöbel darf sich durch Reichtum, nicht
durch Stillosigkeit von dem Gebrauchsgerät unter-
scheiden.

Mit einem Wort gesagt: Die Phantasie des Kunst-
handwerkers sprudelt nicht von Leben über, sondern
von Zweckgedanken, sie sucht nicht Laune und Frei-
heit, sondern sie fühlt sich heimisch im selbstgegebenen
Gesetz, sie verschmäht die reichere Bildung, um den
logischen Aufbau ihres Werkes klar hervorleuchten
zu lassen.

In unseren Tagen hat das Handwerk so manchen
Mitarbeiter aus den Reihen der freien Kunst zu sich
hinübergezogen, darum könnte es mit neidlosen Augen
ansehen, wenn einer, der lange in irrtümlicher Meinung
über sich selbst zu ihrer Fahne geschworen, nun seine
wahre Natur erkennen wollte.

Ein Plastiker ist Carabin, wie es heutzutage nicht
allzu viele giebt, aber ein Bahnbrecher des Kunst-
handwerkes kann er nicht werden, dem er vielmehr
mit seiner eigenwilligen Persönlichkeit jede Entwick-
lungsmöglichkeit verrennen würde. Über ihn hinaus
kein Schritt mehr, sein Beispiel könnte nicht weiter-
gebildet, sondern höchstens nachgeahmt werden —
vermutlich ohne sein Genie. ALP.

Wandschirm, in Leder geschnitten von Georo Hulbe, Hamburg.
 
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