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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Leisching, Julius: Die Entwicklung der Möbelformen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0180
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DIE ENTWICKLUNG DER MÖBELFORMEN

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verschliessbaren Kästen der Kredenz schuf erst das
moderne Möbel dieses Namens.

Die mannigfaltigere, an Ansprüchen und Bedürf-
nissen reicher gewordene Lebensweise führte nicht so
sehr, wie man glauben möchte, zu einer reicheren
Dekoration der Möbel. Ihre Formen werden wohl
vielgestaltiger, namentlich die Stühle und das einzige
Bett immer prunkvoller, in welchem ja oft nicht bloss
Vater und Mutter, sondern auch die Kinder, ja leider
selbst die Gäste Aufnahme finden. Aber die für
Flächcnschmuck, Schnitzerei und Malerei geeigneten

Mittelalter. Seltsamerweise wissen wir gerade für eine
ihrer beliebtesten Ziermotive, für das vielerklärte un-
erklärliche Faltwerk, welches * insbesondere in Nord-
deutschland und den Niederlanden die Füllungen bis
zur Spätrenaissance bedeckt, keinen Aufschluss. Auch
die reichen, farbig unterlegten, mächtigen Beschläge,
welche die schönste Zierde selbst ganz einfacher Mö-
bel, Truhen und Kästen gebildet hatten, weichen
nach und nach zurück, um sich schliesslich im Innern
zu verstecken. Es ist demgegenüber zweifelsohne eine
der verdienstvollsten Bestrebungen der neueren Zeit,

Kronleuchter, nach einem Entwurf von A. Bemb£, Hofmöbelfabrik, Mainz, ausgeführt von Paul Stotz

(G. m. b. H.), Stuttgart.

grossen Bretter sind durch die gestemmte Arbeit ver-
drängt worden. Die Schnitzerei bemächtigt sich unter
dem Banne der Architekturstile mehr und mehr der
plastischen, baulichen Teile, und die Blütezeit der
Renaissance, dann vor allem die üppige, nach kraft-
voller Schattenwirkung dürstende Barocke überflutet
alle Teile, die verschliessenden wie die tragenden,
mit den reichsten Mitteln dekorativer Kunst, in
deren figürlichen Darstellungen der Kreis vertrauter
Bilder aus der Bibel, späterhin aus der Mythologie,
nach dem allen geläufigen Muster der Miniaturen und
Kupferstiche immer von neuem durchlaufen wird.
Darin ist die späte Gotik schüchterner als das frühe

dass man diese zum Zeigen wohl berechtigten, an
künstlerischen Motiven so reichen Konstruktionsmittel
wieder ans Tageslicht zieht.

Je realistischer gegen Ausgang des Mittelalters der
konstruktive Ausdruck der Möbelformen unter der
Einwirkung der Architektur wird, desto naturalistischer
bekanntlich auch das Ornament. Aber das knorrige
Geäste und die vertrauten charakteristischen Vorbilder
heimischer Natur werden nur zu rasch durch die ein-
dringende Renaissance mit ihrem Vorrat an antiken
Bildungen wieder zurückgedrängt. Das kurze Inter-
mezzo erinnere uns nur daran, dass nicht wir es sind,
die seit Adams Zeiten das Paradies der uns umgeben-
 
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