Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

DOI Artikel:
Leisching, Julius: Die Entwicklung der Möbelformen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0183
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
176

DIE ENTWICKLUNG DER MÖBELFORMEN

Schon unter Ludwig XVI. hatten besonnenere
Elemente zur Rückkehr von der lustigen Frivolität
gemahnt und gemässigtere Formen einzuführen ver-
sucht. Die naturtreuen Guirlanden und Blumen blieben
noch eine Zeitlang geduldet und umranken in selt-
samem Mischstil antikisierende Bildungen. Bald aber
müssen auch jene den in Holz übersetzten Schlag-
worten des „Altertums" weichen. Nunmehr bilden
die Rutenbündel der Liktoren
die Pfosten der Bettstatt, Scha-
len mit Opferflammen krönen
Sofa und Ofen, Marmor in
Ölfarbe imitiert überzieht die
Flächen, Genien des Todes, des
Schlafes, des Sieges begegnen
uns auf Schritt und Tritt. Die Kunst-
akademien brüten lauter junge Griechen
aus. Seither steht die strenge „akade-
mische" Linie im Gerüche des Nüch-
ternen und langweiliger Ehrbarkeit. Aber
es wäre ungerecht, behaupten zu wollen,
dass wir nicht auch dieser wie jeder
anderen Epoche eine Reihe vortreff-
licher Formen verdanken.

Die „edle Einfalt und stille Grösse"
der Antike, um mit Winckelmann zu
sprechen, vertrug sich im Grunde ge-
nommen mit den Bedürfnissen der
„bürgerlich" gewordenen Menschheit
recht gut. Und man blieb dabei ja
keineswegs ängstlich stehen. Schon
seit Shearer und Hepplewhite hatte
sich ein wahrer Erfindungsfuror der
Möbelerzeuger bemächtigt. Das Möbel
muss sich jetzt zusammenklappen, nach
Belieben verkleinern und verlängern,
vor allem (auf Rollen) verschieben lassen.
Demgemäss — und das ist kein ge-
ringer Vorzug — musste die Konstruk-
tion wieder verstanden, beherrscht und
ausgenutzt sein und die Welt der Zier-
formen sich in bescheideneren Grenzen
bewegen lernen.

*

Wieder herrscht ja die Architektur und sie bleibt
bis auf unsere Tage die Gebieterin des gesamten
Hausrates, auch nachdem die historische Wissenschaft
Künstler und Kunstforscher mit lobenswerter Gründ-
lichkeit erfüllt und die systematische Wiederkäuung
des gotischen und Renaissancestils mit allen seinen
provinziellen Unterschieden, dann der Barocke, des
Rokoko und schliesslich nochmals des Empirestiles
gelehrt hatte.

Ganz so einfach wie die Perlen
an der Schnur haben sich die
Wandlungen des Geschmackes frei-
lich nicht aneinander gereiht. Es
hat immer Menschen gegeben, wel-
che eigene Wege eingeschlagen ha-
ben. Was sie dadurch an der Über-
sichtlichkeit verbrachen, wussten sie
durch erhöhte Mannigfaltigkeit wett zu
machen. Hier soll nur noch auf eine
Erscheinung dieser Art hingedeutet
werden.

Die heimische, ganz auf unserem
Boden gewachsene Kunst des Mittel-
alters war nie ganz vergessen worden.
Mitten im schönsten Hymnus antikischer
Begeisterung hat die Gotik ihre Stimme
einsam aber vernehmlich wie der Rufer
in der Wüste erschallen lassen. Das Ger-
manische Museum in Nürnberg besitzt
einen Ofen vom Jahre 1810 mit ganz
deutlichen gotischen Elementen. Und hat
nicht Chippendale schon 1754 in seinem
„Gentleman undCabinetmaker's Director"
ein fröhliches Gemisch von Rokoko und
Gotik mit leichtem chinesischen Auf-
putz zur Richtschnur erhoben, die uns
mit seinen in der That meisterhaft kom-
ponierten Sesselformen neuerdings als
Führerin aus der Wirrnis empfohlen
wird? — Es Hesse sich daraus, sollte
man meinen, noch eine, und vielleicht
die wichtigste Erkenntnis ziehen: dass
es nicht auf die „stilechte" Kopie, sondern

1fr

Schmiedeeiserner Kronleuchter im Musee Cluny zu Paris. Louis XIV. (Siehe „Der Kronleuchter" von A. Briining. N. F. IX. H. 7-)
 
Annotationen