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JEAN CARRIES
wähne den „russischen Bettler". Ihm war ein Kunst-
werk etwas allseitig Vollendetes, darum wollte er auch
den Ton seiner Güsse möglichst individuell, wirksam
und künstlerisch gestalten. Wie viele Versuche machte
er und welche entzückende Fülle von wunderbar
feinen farbenduftenden Patinatönen hat er erreicht.
Sein „Franz Hals" ist wie aus „Malachit" und sein
„Faun" gleicht einem
„Achatblock mit Me-
talllichtern, mit Gold-
und Silberreflexen".
Vollendete Güsse sind
der „Gambetta" so-
wie die Selbstporträts.
Es folgte eine Reise
nach Belgien und Hol-
land, deren schönste
Früchte sein „Franz
Hals" und die „hol-
ländische Frau" oder
„Frau Hals"waren. Sie
sind freudige, freund-
liche Werke, entstan-
den unter den freund-
lichen grossen Ein-
drücken dieser Reise
mit einem lieben
Freunde. Ein bestrik-
kender Zauber liegt
über ihnen und selten
wahr ist mit feinfüh-
lendem Empfinden das
Milieu und das Volks-
psychologische sowie
Persönliche erfasst. Es
leuchtet aus ihnen die
grosse ergreifende
Freude heraus, welche
die holländischen
Meisterwerke in Car-
ries erweckt haben. In
gleicher Weise hat er
die stolze vornehme
Grösse seines ange-
beteten Velasquez gehuldigt. Auf dem breitkräm-
pigen Halskragen ruht der prachtvolle energische,
jäh zurückgeworfene Kopf von weitausladend herab-
fallenden, in der Mitte gescheitelten Haarwellen
umgeben, die Augen in scharfer Beobachtung halb
geschlossen, stolze selbstbewusste Kraft an dem bär-
tigen Mund. An die Meisterwerke der Renaissance
klingt die Büste „Loyse Labe" an, mit dem reizvollen
vornehm ruhigen Gesicht, das von schlichtem Haar
umrahmt aus einer grossen Haube hervorblickt.
Die Ausstellung 1888 fasst alles, was er ge-
Porträtmaske von Carries. Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe
schaffen, zusammen, und auch für den Künstler war
sie eine Etappe, von der er nach kurzer selbstein-
kehrender Rast weiter schritt auf der Siegesbahn, dem
leider so nahen Ziele zu.
Wie gross sind die künstlerischen Anregungen
die das Kind gegeben. Entdeckt wurde sein Reiz in
der Frührenaissance, man kennt die reiche Verwertung
des Kindermotivs in
der Dekoration des
Rokoko, und alle
grossen Künstler wur-
den nicht müde, im-
mer und immer wie-
der alle die entzücken-
den Eindrücke des Kin-
des wiederzugeben,
Rafael, Feuerbach,
Thoma und Carries.
Eine Reihe wundervol-
ler intimer Kinderbü-
sten entstanden, so „le
Bebe pensif", das
schalkhaftfreche „Bebe
au nez retrousse, dit
le Petit voyou", das
entzückende „Bebe ä
la collerette" und das
liebliche Eidyllion „le
Bebe endormi".
Kein Gebiet des
Lebens blieb ihm
fremd. Sein „Berg-
mann", die Figur bis
zu den Knieen ausge-
führt, auf einem Sockel
ruhend, ist etwas neues.
Realistisch in der Auf-
fassung, schon durch
die Bewegung über-
raschend, repräsen-
tiert er eine psycho-
logische Vertiefung
von packender Kraft.
Es ist ein modernes
Arbeitergesicht voll des widerstrebendsten Lebens.
Schlaffheit, Müdigkeit, Trotz und aufdämmernde
Empörung, alles ruht in diesen durchgearbeiteten
Zügen, Courbet und Millet zugleich, eine Vorahnung
Meunier's.
Sein „Blinder" mit dem weit zurückgeworfenen
Haupte, als suchten die ewig erloschenen Augen das
Licht des Äthers, ist eine ergreifende Elegie.
Voll starrer Grösse und michelangelesker Wucht
ist der prachtvolle Kopf Baudin's. Die Büste „le jeune
garcon" erinnert mit ihren prächtigen scharfgemeisselten
JEAN CARRIES
wähne den „russischen Bettler". Ihm war ein Kunst-
werk etwas allseitig Vollendetes, darum wollte er auch
den Ton seiner Güsse möglichst individuell, wirksam
und künstlerisch gestalten. Wie viele Versuche machte
er und welche entzückende Fülle von wunderbar
feinen farbenduftenden Patinatönen hat er erreicht.
Sein „Franz Hals" ist wie aus „Malachit" und sein
„Faun" gleicht einem
„Achatblock mit Me-
talllichtern, mit Gold-
und Silberreflexen".
Vollendete Güsse sind
der „Gambetta" so-
wie die Selbstporträts.
Es folgte eine Reise
nach Belgien und Hol-
land, deren schönste
Früchte sein „Franz
Hals" und die „hol-
ländische Frau" oder
„Frau Hals"waren. Sie
sind freudige, freund-
liche Werke, entstan-
den unter den freund-
lichen grossen Ein-
drücken dieser Reise
mit einem lieben
Freunde. Ein bestrik-
kender Zauber liegt
über ihnen und selten
wahr ist mit feinfüh-
lendem Empfinden das
Milieu und das Volks-
psychologische sowie
Persönliche erfasst. Es
leuchtet aus ihnen die
grosse ergreifende
Freude heraus, welche
die holländischen
Meisterwerke in Car-
ries erweckt haben. In
gleicher Weise hat er
die stolze vornehme
Grösse seines ange-
beteten Velasquez gehuldigt. Auf dem breitkräm-
pigen Halskragen ruht der prachtvolle energische,
jäh zurückgeworfene Kopf von weitausladend herab-
fallenden, in der Mitte gescheitelten Haarwellen
umgeben, die Augen in scharfer Beobachtung halb
geschlossen, stolze selbstbewusste Kraft an dem bär-
tigen Mund. An die Meisterwerke der Renaissance
klingt die Büste „Loyse Labe" an, mit dem reizvollen
vornehm ruhigen Gesicht, das von schlichtem Haar
umrahmt aus einer grossen Haube hervorblickt.
Die Ausstellung 1888 fasst alles, was er ge-
Porträtmaske von Carries. Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe
schaffen, zusammen, und auch für den Künstler war
sie eine Etappe, von der er nach kurzer selbstein-
kehrender Rast weiter schritt auf der Siegesbahn, dem
leider so nahen Ziele zu.
Wie gross sind die künstlerischen Anregungen
die das Kind gegeben. Entdeckt wurde sein Reiz in
der Frührenaissance, man kennt die reiche Verwertung
des Kindermotivs in
der Dekoration des
Rokoko, und alle
grossen Künstler wur-
den nicht müde, im-
mer und immer wie-
der alle die entzücken-
den Eindrücke des Kin-
des wiederzugeben,
Rafael, Feuerbach,
Thoma und Carries.
Eine Reihe wundervol-
ler intimer Kinderbü-
sten entstanden, so „le
Bebe pensif", das
schalkhaftfreche „Bebe
au nez retrousse, dit
le Petit voyou", das
entzückende „Bebe ä
la collerette" und das
liebliche Eidyllion „le
Bebe endormi".
Kein Gebiet des
Lebens blieb ihm
fremd. Sein „Berg-
mann", die Figur bis
zu den Knieen ausge-
führt, auf einem Sockel
ruhend, ist etwas neues.
Realistisch in der Auf-
fassung, schon durch
die Bewegung über-
raschend, repräsen-
tiert er eine psycho-
logische Vertiefung
von packender Kraft.
Es ist ein modernes
Arbeitergesicht voll des widerstrebendsten Lebens.
Schlaffheit, Müdigkeit, Trotz und aufdämmernde
Empörung, alles ruht in diesen durchgearbeiteten
Zügen, Courbet und Millet zugleich, eine Vorahnung
Meunier's.
Sein „Blinder" mit dem weit zurückgeworfenen
Haupte, als suchten die ewig erloschenen Augen das
Licht des Äthers, ist eine ergreifende Elegie.
Voll starrer Grösse und michelangelesker Wucht
ist der prachtvolle Kopf Baudin's. Die Büste „le jeune
garcon" erinnert mit ihren prächtigen scharfgemeisselten