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KUNSTNACHRICHTEN

BEIBLATT DER KUNSTWELT

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III. JAHRG., Nr. 17_____1. Juni 1914

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Kunst und Rhythmus.

Von Dr. Guido Hoff mann.*)

Leben ist Bewegung — Bewegung ist Leben.
Nichts Lebendiges ohne Sinn für Bewegung.

Keine Kunst irgend eines Sinnes ohne Mit-
wirkung des Bewegungssinnes. Denn die Kunst will
Leben widerspiegeln, und zwar jede das, was sich
vom Leben dem Sinne bietet, dem sie dient.

Die Bewegung als Ausdruck des Lebens ist es,
was alle Künstler unwiderstehlich in seinen Bann
zieht.

Leben ist Alles; drum ist Alles in Bewegung.

Da alle unsere Sinne verschiedene Eigenschaften
der Bewegung wahrnehmen, da sie in den verschie-
denen Künsten verschieden lebhaft ihre Wahr-
nehmungen machen, so nehmen wir das Leben
sprungweise und lückenhaft wahr. Diese unter-
brochene Wahrnehmung des gleichmäßig sich be-
wegenden, fließenden Lebens, diese menschliche Be-
obachtungsweise verbirgt in ihrem Schöße das Ge-
heimnis des Rhythmus.

Deshalb kann keine Kunst ohne Rhythmus sein,
keine Kunst ohne Bewegung, und deshalb ist die
höchste Kunst diejenige, welche am lebendigsten das
innere und äußere Leben (die seelische und physische
Bewegung irgend einer Lebensäußerung) rhythmisch
gestaltet. Jeder Künstler fühlt es, daß er hinter
der Bewegung herläuft und sie zu erfassen strebt.
Daher schmeichelt es einem jeden, viel Bewegung
dargestellt zu haben. Proportionen sind nur in der
Bildhauerkunst und Malerei Rhythmus. Mathe-
matische Proportionen haben mit Rhythmus (etwas
Lebendigem) nichts zu tun. (Die Architekten reden
in diesem Sinne vom Rhythmus, während es sich
hier eigentlich um eine rhythmische Abstraktion
handelt.)

*) Diese interessante Studie stammt aus der soeben erschienenen
Schrift „Grundlagen reiner Kunstkritik für Künstler, Kritiker und
Laien". (Verlag Georg W. Dietrich in München.)

Den Rhythmus, unser künstlerisches Erleben,
schmückt unser Auge mit Farben in der Malerei,
unser Ohr mit Klängen in der Musik, der Raumsinn
mit Flächen in der Plastik und der Sprachsinn mit
dem Erleben aller Sinne in der Poesie.

Die Liebe verleiht dem Rhythmus Flügel der
Seele; wo sie fehlt, müssen naturgemäß bestechende
Aeußerlichkeiten (Pose) den inneren Mangel er-
setzen.

Kommt die Bewegung durch unsere Wahr-
nehmung als Rhythmus zum Ausdruck, so müßten
wir, um das Rhythmische in den Künsten verstehen
zu können, wissen, was eine Bewegung ist:

In künstlerischer Auffassung ist eine Bewegung
eine zielbewußte Lebensäußerung, die sich in
Momenten abspielt, von denen einer für diese Be-
wegung typisch ist. Einen solchen Moment künst-
lerisch gestalten, nennt man Symbolisieren. Hier
zeigt sich das künstlerische Können in den bildenden
Künsten: Malerei und Plastik.

Setzt sich so einerseits die Bewegung aus
Momenten zusammen, so bilden anderseits eine
Menge von Bewegungen einen Vorgang. Dieser
kann nur unter Wiedergabe einer Kette von Be-
wegungen gestaltet werden, wie es in den rhyth-
mischen Künsten: Musik und Poesie, geschieht. Es
wäre vollständig widersinnig, wollten beide Künste
einen Moment als Symbol der Bewegung gestalten,
da die hierzu erforderliche Zeit im Ausdruck dem
Wesen des Momentes widerspricht; so geraten auch
die bildenden Künste beim Gestalten eines Vor-
ganges in Widerspruch zu der zeitlichen Reihen-
folge von Momenten und Bewegungen.

Z. B. der Marschall Ney von Rüde, den Rodin
als Muster starker Bewegung hinstellt, hat deshalb
keine Bewegung, weil er nicht einen Moment,
sondern einen Vorgang verkörpert.
 
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