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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,2.1906

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Heft 19 (1. Julheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: "Vorgeschlagen zum Nobelpreis"
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Batka, Richard: Stimmen der Völker in Liedern, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8629#0389

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den Nobelpreis erhalten hätte. „Das ist also euer bester Dichter?"
Welch eine erste Freude sür alle, die den deutschen Geist gering
schätzen!

Dann aber ginge man ernsthaft ans Nachprüsen, auf welche
Verdienste hin denn eigentlich diese Präsentation erfolgt sei. Ja,
wo fände man diese Verdienste?

Ein Kunsthistoriker und ein Germanist brauchen nicht Sachver-
ständige in literarischen Dingen zu sein, es ist nicht nötig, datz sie
die hunderte kennen, die heute in Dentschland bessres als Bewer
dichten. Aber sie sollten doch wenigstens wissen von Lyrikern wie
Greis oder Liliencron, Jensen oder Heyse, Falke oder Dehmel, die sie
zurücksetzen, indem sie Bewer empfehlen. Und mutzte der empsohlene
deutsche Dichter denn gerade ein Lyriker sein? Von den Dramatikern
zu schweigen: Wilhelm Raabe lebt noch und Karl Spitteler auch. Kann
es denn irgend einen Gebildeten geben, dem ein Max Bewer mehr
gilt als Wilhelm Raabe oder Karl Spitteler? Jch muß gestehen, ich
schäme mich ein wenig sür unsre literarische Knltur, daß diese Emp-
fehlung bei uns möglich ist. Jch schäme mich darüber, daß ich in
dieser Zeitschrist so viele Seiten diesem Gegenstand widmen mußte,
und mußte das doch, wollte ich anch begründen. Aber die Erteilung
des Nobelpreises an Bewer würde unsre literarische Kultur im Aus-
lande lächerlich machen. Und damit auch dem Ansehen des
Deutschtums als solchem einen Schlag versetzen, den wir nm so
schwerer empsinden müßten, als er nicht verdient wäre. A

8tirnmen cier Völker in ^ieciern *

2. Das Niederländische volkslied

Zu Rembrandts Geburtszeit waren seine Landsleute eben im
Begriss, auch ein ruhmvolles Kapitel der abendländischen Musik-
geschichte abzuschließen. Nur aus den Zinnen der Prager Burg Kaiser
Rudolss des Zweiten ruhte noch ein letzter heller Abendglanz des
Ruhmes, der durch ganze zwei Jahrhunderte aus voller Sonnenhöhe
über Europas Tonkunst gestrahlt hatte. Zwar wurde im s7. Jahr-
hundert, wie die Bilder der Maler bezeugen, in den Niederlanden
noch immer frischsrohlich musiziert, zumal instrumentaliter, wie man
damals sagte. Aber die Reihe der großen schaffenden Meister der
Vokalkunst war im Norden beschlossen, die musikalische Vorherrschast
ging sortan aus Jtalien über. Mag die alte niederländische Musik
dem Kenner heute noch so lebensvoll und lebenswürdig erscheinen:
für unsere Zeit ist sie tot, daran vermögen auch gelegentliche Auf-
führungen, die von Liebhabern veranstaltet oder veranlaßt werden,
leider wohl nichts zu ändern. Das Volk weiß wenig davon, hat kein
Verlangen darnach, und man kann noch immer nicht sagen, ob es den
Erweckungsbestrebungen der Gegenwart je gelingen wird, etwas von
jener großen Kunst wenigstens sür die musikalisch gebildeten Kreise
zurückzuerobern.

Glückte das aber der Kunstmusik der alten Niederländer selbst

* Vgl. Kw. XIX, 9.




Runstwart XIX, ty
 
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