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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,4.1909

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Heft 20 (2. Juliheft 1909)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8817#0121
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„Dieser für Ihre Verhältnisse doch etwas zu billige Witz", sagte
Nürnberger, „läßt mich vermuten, daß Sie sich durch meine Kritik, trotz
Ihrer sehr würdigen Haltung . . ."

„Nein, Nürnberger, ich schwöre Ihnen, ich bin nicht verletzt. Ich
habe sogar eher ein angenehmes Gefühl, daß die Sache abgetan ist."

„Abgetan? War-um denn? Es ist doch immerhin möglich, daß ich
mich geirrt habe und daß gcrade diesem Stück, das ich für minder ge-
lungen halte, auf dem Theater ein Erfolg beschieden wäre, der Sie zum
Millionär machen kann. Ich wäre trostlos, wenn durch meine vielleicht
ganz unmaßgebliche Kritik . . ."

„Gewiß, gewiß Nürnberger, das müssen wir nun schon einmal alle und
in jedem einzelnen Fall auf uns nehmen, daß wir uns geirrt haben
können. Und nächstens schreib ich doch wieder ein Stück und zwar mit
.folgendem Litel: Mir macht niemand was weiß und ich mir selber erst
recht nicht . . . und Sie, Nürnberger, werden der Held sein."

Nürnberger lächelte. „Ich? Das heißt, Sie werden einen Menschen
hernehmen, den zu kennen Sie sich einbilden, wsrden diejenigen Seiten
seines Wesens zu schildern versuchen, die Ihnen gerade in den Kram
Passen — andre unterschlagen, mit denen Sie nichts anfangen können,
und am Ende . . ."

„Am Ende", unterbrach ihn Heinrich, „wird es ein Porträt sein, auf-
genommen von einem irrsinnigen Photographen durch einen verdorbenen
Apparat, während eines Erdbebens und bci Sonnenfinsternis. Einver-
standen oder fehlt noch was?"

„Die Eharakteristik dürfte erschöpfend sencks, sagte Nürnberger.

Rundschau

des Unterrichts wird alles Lüge,
denn alles kommt von außen an den
Menschen. Er lcrnt ja. Er braucht
nichts selbst zu suchen. Weder Gott,
noch die Wissenschaft, noch sich. Es
ist alles da."

Damit hat Karl Röttger leider
nur allzn recht. Die Ergebnisse
unsrer „fertigen" Kultur gibt die
Schule als Fertiges, und oft gc-
nug leitfadenmäßig abstrakt, zur
„Aneignung". Damit unterbindet
sie allen Wachstumswert und
alle Wachstumsanregung, die in
ihrem Unterrichtsstoff — anch dem,
den sie heute pflegt — beschlossen
liegen. So kann kein Schüler in
unsre Kultur hineinwachsen; und
unsre Kultur kann in keine wer-
dende Seele hineinwachsen. Alles
geht, fertig zu Pillen gedreht, in

2. Iuliheft l909 93—

Kind und GoLt

Karl Röttger, „Kind und Gottes-
idee". Modern-Pädagogischer und
Psychologischer Verlag, Berlin l908)
«»»nserer ganzen bisherigen Art,
»^i-zu unterrichten, liegt der Begriff
»Katechismns« zugrunde. Unser
ganzer Unterricht basiert auf einer
ganz falschen Psychologie, auf ganz
veralteten Wertbestimmungen. Kein
Fach, wo nicht etwas »gelernt« wer-
den müßte; alle Erkenntnis ist schon
da; der Schüler muß sie sich nur
»aneignen«; er braucht das Vor-
gesetzte nur zu lernen. So kommt
er znr »Bildung«. Kein Fach, in
dem es nicht so wäre. Keine höhere
und niedere Schule, die dieser Art
Ausbildung nicht huldigte. Äberall
Katechismus. Da mag alles richtig
sein, alles wahr: durch diese Art

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