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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 2
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Lichtwark, Alfred: Die Geschichte der Bildnismalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0033

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Perücke, Spitzen, seidene Röcke, Schmuck und Edel-
stein — lauter Dinge, die der Holländer um s650
aus seiner schwarzen Tracht verbannt hatte — näherten
die Tracht des Mannes der Damentoilette. Und so
wurde auch das Bildnis ein Repräsentationsstück.
Austreten, Repräsentation macht den Jnhalt des Bild-
nisses wie des Lebens aus.

Das achtzehnte Jahrhundert geht einen Schritt
weiter: es malt die Herzoginnen und Marquisen halb-
nackt in Wolken als Diana oder VenUs, denn das
Leben, das ausgedrückt werden sollte, war ein üppiges
Spiel geworden.

Jn der Revolution wurde dieses Geschlecht hin-
weggefegt. Der sürstliche Zuschnitt des Lebens ver-
bürgerlichte sich, und damit hatte die Kunst eine neue
Unterlage. Kurze Zeit wurde der Zug durch das
heroische Jntermezzo des ersten Kaiserreichs unter-
brochen, das auch dem Bildnis seinen Stempel aus-
drückte.

Unterdeß hatte in der zweiten Hälste des acht-
zehnten Jahrhunderts die englische Kunst sich erhoben
und in den Bildnissen Sir Joshua Reynolds und
Gainsboroughs das Herrliche, hochkultivierte, selbst-
bewußte Geschlecht der englischen Aristokratie geschil-
dert, bei ersterem in sreier Anlehnung an alte Vor-
bilder, bei letzterem aus selbständigem Gesühl.

Aus der Perspektive kommender Jahrhunderte
dürste das unsere in der Bildniskunst nur durch sehr
vereinzelte Erscheinungen sich zur Höhe der ältern
Epochen erheben., Jn England, wo die Kultur über-
haupt von Erschütterungen und Verschüttungen, die
die Länder des Kontinents betroffen haben, verschont
geblieben, hat das Bildnis ununterbrochen seinen
Ehrenplatz behauptet. Frankreich, das gerade in
unseren Tagen die Führung aus künstlerischem Gebiet
an England zu verlieren bedroht ist, hat das Bildnis
ebensowenig vernachlässigt. Aufgegeben wurde es oon
der großen Kunst nur in Deutschland zu der Zeit, als
Cornelius und seine Schule herrschten. Und noch
heute hat es sich von dieser Vernachlässigung nicht
erholt, denn die Pslege des Bildnisses im Staats-
und Familienleben war unterbunden, und sür den
geringen Bedarf sorgte nur ausnahmsweise ein großer
Künstler. Das Bildnismalen ist zur Spezialität ge-
worden.

Dies kann nur da ohne Schaden für die Kunst
geschehen, wo der Bildnismaler monumentale Ausgaben
findet, wie Frans Hals in seinen Regentenstücken.
Wer nur Brustbilder und höchstens Kniestücke zu
malen hat, der läust Gesahr zu erstarren. Bei den
Holländern war das Bildnis unbedingt die sührende
Kunstgattung, und da wir im wesentlichen denselben
Boden unter den Füßen haben, so müßte es diesen
Rang auch bei uns einnehmen. Es müßte in dem-

selben Sinne ein künstlerisches Problem sein, wie die
Landschaft und das Historienbild — letztern Ausdruck
im weitesten Sinne genommen. Das Bildnis sollte
unter allen Umständen wieder Bild werden. Wie zur
Zeit von Holbein, Titian, Rubens, van Dyck, Rem-
brandt, deren Bildnisse mindestens gleichen Rang mit
ihren Historienbildern behaupten, müßte es den Ehr-
geiz aller sührenden Künstler ausmachen, dem Bildnis
selnen Rang als vornehmste Kunstgattung wieder-zu
erobern. Freilich macht die Zerfahrenheit, in der wir
unsere Künstler auswachsen lassen, das geringe Maß
von Können, das wir selbst bei hohen Begabungen
schon als selbstverständlich hinzunehmen pslegen, die
ersten Schritte aus der gesunden Bahn überaus
schwierig. Nur wenige dürften die Krast in sich
sühlen, bei einer ernsthasten Bildnisausgabe ihre Kunst
vor dem Schiffbruch zu bewahren.

Hamburg bietet dem Bildnis in diesem Sinne
durch sein eigenartiges Staatsleben und den starken
Familiensinn überaus günstigen Boden. Ein Sena-
torenbildnis ist heute schon die anziehendste Bildnis-
aufgabe, die einem deutschen Künstler gestellt werden
kann, und in Zukunst sind bei uns Ausgaben möglich
wie eine Sitzung oder eine Prozession des Senats,
die nur genannt zu werden brauchen, um jedes
Künstlerherz in Wallung zu bringen.

Das Gebiet der Möglichkeiten sür das moderne
Bildnis ist unendlich. Die religiöse Malerei, die Ge-
schichtsmalerei, die Genremalerei haben ihre Zeit.
Das Bildnis großen Stils ist von Zeitströmungen
unabhängig, und es dürste die ihm zukommende
Führerrolle bald wieder übernehmen. Dazu bedars
es aber nicht nur der Künstler, sondern eines Staates,
der sich seiner selbst bewußt ist und das Bedürsnis
hat, sich auszudrücken, dazu bedarf es eines kulti-
vierten Publikums, das Aufgaben stellt, nicht bloß
Austräge gibt. Diese Elemente aber fehlen uns, wäh-
rend der Künstler immer da ist.

Zur Erziehung des Publikums kann der Ama-
teurphotograph unendlich viel beitragen, wenn er sich
des Bildnisses annimmt. Denn der stärkste Feind jeder
künstlerischen Leistung ist das allgemeine Bedürfnis
nach schematischer Jdealisierung. Wenn es sich um
ihr Bildnis handelt, haben nur wenige den Mut
ihrer Persönlichkeit. Möge es unserm einslußreichen
Hamburger Amateurphotographenverein gelingen, zur
Gesundung des künstlerischen Gefühls durch ehrliche,
unretouchierte, künstlerisch empsundene Aufnahmen den
Weg bahnen zu helsen.

Aber um diese wichtige Funktion ausüben zu
können, muß der Amateurphotograph sich selber zu-
nächst erziehen. Eine genauere Kenntnis der Bildnis-
kunst der vergangenen Epoche kann ihm dabei nicht
schaden, wenn er sich vor der Jmitation historischer


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