Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Schaufenster
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0178

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
die gottlob keineswegs allgemein ist. Für einen
^ Rembrandt können alle übrigen Gefühle hinter die
Freude am schöneli Kolorit des geschlachteten Ochsen
zurücktreten, für unsere Hausfrauen thun sie's schmer-
lich, und so handelten gerade Fleischer und Wild-
prethäitdler weise, wenn sie in ausgedehnterem Maße
„Requisiten" sür ihre Auslagen heranzögen. Jn
einer plastischen Nachbildung z. B. oder auch auf
einem stilllebennrtigen Bilde würde völlig erträglich
sein, was ats wirklicher getöteter Körper schwer und um
so schwerer erfreut, xe höher organisiert das betref-
sende Tier war, je leichter hier also die Vorstellung
von „Entseeltem" in uns aufsteigt. Wer beobachtet,
wie sich die Vorübergehenden vor Läden mit im
engeren Sinne bildlichen Darstellungen stauen,
ivird sich überhaupt der Meinung zuneigen, daß
solche viel mehr benützt werden sollten. Hübsch ge-
ordnete Gruppen von Figuren und Figürchen etwa
init gemaltem Hintergrunde, vielleicht auch mit be-
weglichen Teilen, wird nur der akademische Pedant
auch für diese Stellen verwerfen; eine Butterhand-
lung z. B., dic fo eine Senner- oder Molkereifzene
im Schaufenfter luftig darstellt, thut damit sicherlich
besfer, als wenn sie nur Buttersorte neben Butter-
sorte auslegte. Auch gegen die Wachsköpfe mit den
Kunstbauten der Friseure wüßte ich nichts einzuwen-
den, als daß fie zumeift trotz des verfchmitzten Lächelns
ihrer anilinroten Mündlein nicht eben hübfch sind,
ivas aber mit ihrer ganzen Art nicht zusammen-
hüngt. Jm Gegenteil, diese Gattung volkstümlicher
polychromer Plastik könnte auch für die Schaufenster
vorteilhaft ausgebildet werden. Wie stattlich höbe
auf farbigen Büsten der Damenhuthändler seine Herr-
lichkeiten von Filz, Sammt und Feder, der Spitzen-
händler feine duftigen Sachen, der Juwelier feinen
Schmuck heraus ! Auch „Gefamtkunstwerke" mit kleinen
Hinweisen darunter lobt' ich mir: Spitzen von Müller,
Schloßstraße, Schmuck von Schultze, Hauptstraße, Hut
von Neumann, Thorstraße, und meinetwegen auch
Haare von Mayer, Bergstraße. Das kostete jeden
nur eine Büste und machte an vier Orten zugleich
für ihn Reklame. Wenn mal eine darüber lacht, was
schadet das? Nnsere Schaufenster könnten ohnehin ge-
legentlich etwas Humor brauchen. Die hellenKöpfe,
die senfationellen Hosenträger, epochemachende Bade-
wannen oder geniale Stiefelknechte in den Blättern
anzeigen, suchen die Blicke durch Scherze einzufangen.
Jn den Schaufenstern sieht man dergleichen alle Jubel-
jahre einmal, und doch vergißt kein Vorübergehender
so schnell den Laden, der ihm gelegentlich ein Lachen
geschenkt hat. Heraus alfo mit dem drolligen Einfall,
Freund Ladeninhaber, den du einmal in guter Stunde
gehabt haft! Sagt auch der oder jener nur „au" dazu,
das schadet nicht mehr als wenn, was ftündlich gefchieht.

einem oder dem andern etwas von der Waare in
einer Auslage mißfällt. Die Furcht vor dem Aus-
lachen ist philiströs, und wir nehmen zudem auch
ein paar mißlungene Scherze bestwillig mit in den
Kauf, wenn dann und wann etwas die sauer-
töpfische Seriöfität unseres Straßenlebens unterbricht.

Die allerungewöhnlichste, aber ausbildungs-
fähigste und für sehr viele Fälle fowohl zweckmäßigfte
wie fchönfte Schaufenftereinrichtung haben wir uns
zu eindringlicher Empfehlung bis jetzt aufgespart: es ist
die, welche den ganzen Laden zum Schaufensterbilde
heranzieht. Faft nur bei Händlern mit Luxusmöbeln ^
und Dekorationsftoffen fehen wir dann und wann we-
nigstensAnsätze hierzu, Durchblicke durch die Auslage in !
den Jnnenraum, aber fo gut wie niemnls ist das Prin-
zip bewußt ausgebildet. Man beachte nur wie oft ein
Vorübergehender durch irgend einen Spalt in einen
fchönen Laden lugt, um zu fehen, wie lücherlich nah
es eigentlich liegt, diesem Verlangen des Publikums
zu seinem und des Ladners Vorteil entgegenzukom-
men. Statt das zu thun, verfperren zumeift
gerade diejenigen Ladenbefitzer, die viel zeigen
wollen, durch die Anhäufung im Schaufenster den
Blick auf das Hauptlager im Laden, auf das doch
dns Jnteresfe der Vorübergehenden von der Straße
hereingeholt werden soll. Jch empfehle alfo: mit
einem niedrigen Arrangement in der Mitte der Aus-
lage folche Sache auszuftellen, die besonders naher
Betrachtung empfohlen werden, desgleichen rechts
und links und vielleicht auch von der Decke herab,
so daß fich ein weiter umrahmter Durchblick auf den
zweckmäßig geftellten Reichtum des Jnnern darbietet.
Dieses kann bei Platzmangel ja eher einem ein-
fachen „Lager" gleichen: für die Ferne der Straße
kommt doch das Einzelne wenig, kommt doch nur
der G e f a m t e i n d r u ck des innern Ladens in Be-
tracht, und diefer braucht des Reizes auch bei
gedrängter Fülle nicht zu entbehren, wenn nur
auf gute Mafsen- und Farbenverteilung, auf
Gruppenbildung gehalten ist. Jst der Käufer erst
hineingegangen, so wird ihm der Hündler ohnehin
seine Waare, eigentlich und uneigentlich gesprochen,
schon ins rechte Licht fetzen. Er kann also auf diese
Weise zeigen, wie viel er hat, und doch zugleich
malerische Lockbilder schaffen. Die Reize der Linien-
und Farbenperspektive, derDurchblicke mit ihren Ueber-
schneidungen u. f. w. stehen ihm bei dieser Art der
Schaufenftergestaltung in unvergleichlich größerer
Mannigfaltigkeit zur Verfügung, als wenn er sich
auf den fchmalen Raum hinter der großen Scheibe
befchränkt. Das gilt schon von der Tageszeit, in
welchem Maße aber von Dämmerung und Abend,
wo das goldige Licht im Jnnenraum zudem all feine
Waare noch dekorativer macht. Der Leser schreite
 
Annotationen