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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 11
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Avenarius, Ferdinand: Schaufenster
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0177

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L



erhellen, während doch jeder Theaterbesucher weiß,
wie sehr schon eine verhnltnismäßig kleine Anzahl
uon Hellen Lichtern aus der Bühne die Beobachtung
des Bühnenbildes stört, z. B. der Tafelgesellschaft,
wenn brennende Lampen aus dem Tische stehen. Der
gute Regisseur uermeidet dergleichen, wo das nur
angeht, Architekten und Ladeninhaber jedoch scheinen
die Sachlage nur selten zu berücksichtigen. Denn nur
ganz selten sind die Ausnahmen, die Schausenster
nach Art der Bühnenbilder beleuchtet zeigen, d. h.
mit Flammen, die, dem Beschauer uersteckt,
ihr ganzes Licht mit Reslektoren vom Beschauer
weg auf das Bild im Schausenster wersen. Begegnet
man solchen Ausnahmen, so ziehen sie jedes Alal
das Auge aus sich durch ihre viel stärkere, viel
sattere Wirkung. Denn hier erst kommen ja alle
Farben mit voller Leuchtkrast zur Geltung, da sie
durch die grellen Lichtpunkte der Flammen nicht über-
schrieen und niedergestochen werden. Ein sarbenreiches
Bild zu schasfen, wenn mitten drinnen Flammen
brennen, ist überaus schwer, ohne das aber, wenn die
Pupillen des Beschauers durchs Dunkel erweitert sind,
bei dem warmen Glanze unsrer meisten Lichtarten
überraschend leicht. Zudem sällt bei der hier empsoh-
lenen Art der Schausenslerbeleuchtung etwas zweites,
sehr hüßliches weg: eben das Durcheinander der
Schatten und Lichter, das durch die ungeordnete
Anbringung der Lampen entsteht und ost jede klare
Modellierung der Körper in Unruhe auslöst. Auch
in dieser Beziehung ist durch einheitliche Beleuchtung
von der Fensterwand her oder durch sür die Straße
verdecktes Oberlicht allein — und leicht — eine ma-
lerische Wirkung zu gewinnnen.

Nun zur Ausstellung der Gegenstände in der
„Auslage". Der Bitdcharakter verlangt, daß sich
ein Ganzes ergebe, eine Komposition mit klarem
Schwerpunkt. So ist nach Möglichkeit das Zerstückeln
des Eindrucks durch kleine Grüppchen ohne Beziehung
zu einander zu vermeiden und ebenso das militärische
Ausmarschieren der Gegenstände in Zügen, Kompag-
nien und Bataillonen, das der paradesreudige Deutsche
auch in seinen Schausenstern besonders liebt. Da-
gegen ist es durchaus nicht notwendig, die Kompo-
sition zum Ganzen allein aus dem Wege der Sym-
metrie zu suchen, wie das von neun und neunzigen
unter hundert derjenigen Ladenbesitzern geschieht, die
überhaupt das Bedürfnis nach Zusannnenbau empsun-
den haben. Jm Gegelckeil: die Symmetrie ist unter
den Kompositionsmitteln das alleräußerlichste und
vom mindesten Wert, der Maler verwirst's und lobt
sich sreieren Rhythmus und sreiere Harmonie. Da
kann gar wohl aus der linken Seite ein sarbenreicher
Aufbau stehen , und ein kleiner leuchtender Fleck aus
schönem Hintergrund hält ihm rechts doch das Gegen-

gewicht. Denn Formen und Farben wirken mit-
und ineinander. Wer sehen will, wie man's machen
muß, schaue sich Stillleben an oder gucke in die Ge-
mücher der Maler, in denen von Symmetrie so we-
nig'und von schönen Gruppen so vieles zu sinden
ist. Schon durch ihre Neuheit würden unsym-
metrische aber harmonische Schausensterbilder auf-
sallen.

Ganz wenige Ladenbesitzer wissen es, wie wichtig
sür jeden ausgestellten Gegenstand seine Umgebung
ist, wie schier unglaublich er durch diese gedrückt oder
gehoben werden kann. Wär's anders, der Glaube
könnte nicht mehr so sest sitzen: wer vieles bringt,
wird manchem etwas bringen — stell' also wo-
möglich deinen ganzen Kram in den Laden! Zwar
wo, sozusagen, „das Gattungsmäßige den Ausschlag
gibt", läßt sich dagegen nichts sagen, zumal wenn
der Gegenstand in Menge malerisch wirkt, wie z. B.
die malerischsten Geschöpse der Gotteswelt thun, srische
Fische, serner Früchte, aber auch allerhand Fleisch-
speisen. Bei diesen schätzbaren Sachen ist's aber
nur selten der ästhetische Wert des Einzelstückes,
der zum Kauf locken soll. Wo das der Fall, ver-
langt natürlich das Geschästs- wie das künstlerische
Jnteresse, daß ein Gegenstand deli anderen hebe,
nicht drücke. llnd trotzdem so ost noch Statuette
neben Statuette, Büste neben Büste, Lampe neben
Lampe, Krug neben Krug, Uhr neben Uhr! Jst es
nicht, als wenn man den Beschauern die Freude an
alledem verkümmern statr stärken ruollte? Wir wer-
den nachher noch besonders von einern Mittel
sprechen, durch das der Kausmarrn auch aus den
Rei chtum seines Lagers den Mann aus der Straße
vortresslich und garrz eirrsach chinwcisen kanrr — da-
durch aber erzielt er das sicherlich nicht, daß er
hinter der Laderrscheibe eirrerr richtigerr Stapelplatz
anlegt.

Zuweilerr, und besonders da, wo es ungewöhn-
lich schwer ist, den Waaren Reize sürs Auge abzu-
gewinnen, wird der Laderrinhaber Hilssnrittel aus
anderen Gebieten heranziehen. Schöne Pflanzen
sind davon das Einsachste, und schöne Blattpslanzen
sind z. B. bei Fleischerläden auch sehr am Platze,
wo ihr Grün nrit dem Rot harmonisch zusam-
mengeht; blühende Pslanzen sreilich gehören
in Fleischerauslagen kaum. Da wir gerade von
Fleischerrr sprechen: ihre und der Wildprethändter
Berussthätigkeit erklärt es ja, aber aussällig bleibt
es doch, daß sie rricht nrit voller Sorgfalt vernreiden,
arr das Leichenhaste des toterr Tieres zu erinnerrr.
Der Gebrauch, Kalbsviertel oder garrze Rehe mit
zerschossenem Kops und gebrochenerr Augen als Lockung
auszuhärrgen, setzt beim Publikunr eirre rohe Stumps-
heit des Empsinderrs als selbstverständlich uoraus,


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