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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 21
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0347

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iK

etwas sehr schönes uud sehr interessantes sein, wenn man
dabei nicht so entsetzlich konventionell wäre. Sie kann
sich heute nach zwei Seiten entwickeln: nach der gran-
diosen, wobei ihr die Elektrizität helsen wird, und nach der
intimen, welche gerade ein Rückschlag gegen die Wirkungen
der Elektrizität ist. Jn der Ausstellung waren die gran-
diosen Wirkungen nicht zu verspüren, aber die intimen
haben einige gute Ersolge erzielt. Und zwar denke ich
da an zwei Unternehmungen. Jn der Kulissenstadt Kairo
machte man eine Beleuchtung aus Lämpchen, welche die
geschmackvollste Jllumination war, die ich inich erinnere,
gesehen zu haben. Der Geschmack zeigte sich in den
Formen und in den Farben. An dcn hundert malerischen
Stellen dieser wirklich mit grotzer Liebe aufgebauten
Sommerstadt waren diskret und orientalisch-bizarr die
Lämpchen so angebracht, datz sie sich mit Vorliebe an die
Formen der asiatischen Jnnendekoration anlehnten: man
sah Vorhünge und Lämpchen leicht hin und her schaukeln,
aus verschiedenen Längen, nach dem Muster der Perl-
portieren, man sah die Motive der Palmen und der
Teppichmuster. Guirlanden schwangen sich von Minaret
zu Kuppel, die Pyramide lag in den roten Dämpfen
des bengalischen Lichts. Die Farben waren leicht und
matt, wie der sütze Kef, das orientalische Genietzen der
Müdigkeit. Mattblau, mattgelb war wunderbar in die
Gelassenheit dieser Architektur eingestimmt.

Und dann erinnere ich mich der grotzen Jllumination
um den Haupt-See. Guirlanden in einsachen roten, grünen,
weitzen Farben umsäumten die langen geraden Ufer. Tie
elektrischen Bogenlampen waren rot verhängt und gossen
ein gedämpftes Licht aus. Die Laubengünge zu Seiten
des Sees waren überspannt mit hunderten von Bogen
dieser seinen weitzen Lämpchen, die infolge ihrer Paraffin-
Füllung ein ganz zartes, vornehmes, ruhiges Licht gaben.
Wo das elektrische Licht ganz aufhörte, war es ein eigener
Reiz, unter dieser Unendlichkeit der sanften weitzen Lümpchen
zu wandeln, die das Einzige war, was man im dunklen
Raume sah. Es wnr ein intimer Lichtzauber, den man
nicht vergessen kann.

Jn dieser Art konnte man einen gewissen Fortschritt
beobachtcn. Es war keine rohe Jllumination mehr, es
war Stimmung darin, und die Absicht der Stimmung
gab der Jllumination einen persönlichen, darum künst-
lerischen Charakter. Wenn man nicht die intimen, sondern
die grandiosen Wirkungen moderner Lichtkunst sucht, so
mutz man dahin gehen, wo man die nötigen Schätze dafür
ausgibt. Jn Moskau, bei den Krönungsfeierlichkeiten
veranstaltete die Stadt eine Jllumination, die vielleicht
so viel kostete, wie unsere ganze schöne Ausstellung. Aber
was bekam man da zu sehnl Das Reichswappen hoch
oben aus elektrischen Flammen und der Purpurmantel
darunter in rotbeleuchtetem fließendem Wasser. Jn den
Hösen Lokomobilen, die den Dampf durch Röhren auf die
Plätze leiteten, wo man ihn beleuchtete und Feuerwerke
in ihm abbrannte. Ein ganzer Pavillon mit reichem
Gitterwerk löste sämtliche tektonische Glieder in Fackel-
reihen auf. Die Erlöserkirche ward in dem grotzen Unter-

bau mit weißen Glühlampen belegt, die vier Seiten-
kuppeln mit bunten, die mittlere goldene Kuppel von
einemScheinwerferherausgeholt. An einer Brücke hingen
schwebende Guirlanden von elektrischen Flammen und über
sie slossen stündige brennende Pechströme in das Wasser.
Jch sühre diese Beispiele als Perspektive an für die Ent-
wicklung der grandiosen Jllunnnation, wie jene Berliner
als Probe für die der intimen.

Den grötzten Erfolg erzielte diesen Sommer cin
Ballet. Nicht in der Oper, die sich jetzt bei Kroll ganz
schön eingerichtet hat und dort sogar eine Neuheit brachte,
Goldmarks „Heimchen am Herd", über das sich weiter
nichts sagen lätzt, als datz der Text im Aufbau nicht
schlecht, in den Worten aber eine Persiflage auf Dickens
ist, und datz die Musik sich in den Grenzen eines an-
ständigen Eklektizismus hält. Nein, das Triumph-Ballet
ist uns aus England gekommen und hat sich in einem
eigens errichteten Holzbau am Alexanderplatz nieder-
gelassen, auf einer Bühne, die so grotz ist, datz sie
das Auge nicht aus einmal übersehen kann. Es isr das
stärkste Balletpersonal, das Berlin je sah. Aber sür
die stagnierende Kunst des Tanzes ist dabei nicht viel
herausgekommen. Es ist nicht einmal englische Ballet-
kunst, die heut noch die meisten Zukunstskeime in sich
trägt. Es ist einfach ein Massentanz in recht sauberer
Aussührung und mit sehr schönen Allerweltskostümen.
Die Masse als solche erzielt schlietzlich auch einige
Wirkungen, die man sonst noch nicht so sah. Wenn
sich die Riesenspirale aufwindet oder wenn das Riesen-
zickzack dieser Menschenmassen dasteht und die langen
Reihen mit grotzerEinmut die Beine heben, so kann man
sich eines gewissen Reizes nicht erwehren. Dieser Reiz
ist psychologisch von eigentümlichem Jnteresse. Ein Haupt-
gesetz gymnastischer Wirkung ist nümlich der Kontrast be-
wegter Gliedmatzen mit unbewegten. Wenn eine Chanso-
nette ein pikantes Lied singt und dabei so über die
Bühne tänzelt, datz Beine und Arme gewisse ionische
Bewegungen ausführen, während der Rumpf und das
Gesicht stramm und unbeweglich bleiben, oder wenn
Nigger einen blödsinnig bizarren Gesangstanz aufführen
und dabei mit ihren Oberkörpern kerzengerade bleiben
und im Gesicht den grötzten Ernst zur Schau tragen —
so ist ein Kontrast zwischen Spiel und Ernst, zwischen
Bewegung und Stetigkeit, Auslösung und Strammheit
da, der jedesmal einen unfehlbaren Ersolg erzielt. Es
ift der Erfolg des gymnastischen „Witzes", der dem Körper
gerade dann die grötzte Versteinerung gibt, wenn er am
slüssigsten ist. Bei den beweglichen Riesenketten des
„Olympia"-Ballets habe ich diese Empsindung am stürksten
gehabt. Der Gegcnsatz dieses gewaltigen Militarismus
und der einzelnen reizvollen Bewegung ist da aus die
Spitze getrieben. Man wird leicht dieses selbe sormale
Gesetz der Gymnastik überall da in jeweilig veründerter
Form wiedersinden, wo sich ein Mafsenrhythmus mit
der Einzelbewegung verknüpst: im Tanzsaal, bei der
Ruderregatta und beim Marsche des Regiments.

Gskar Bie.

InMlt:

Die Zfurcbt vor der Fnrde. — Ikxundscbau. — Dichtung. Schöne Literatur. (Dämon Kleist. Von
Georg Hirschfeld. Aus der Franzosenzeit. Von Augustin Knötel. Pastor Hammer. Von Leopold
Guthart.) Schristen über Literatur. (Heinrich Heine als Dichtcr und Mensch. Von I)r. Nietzki. Aus Heinrich Heines
Ahnensaal. Von Prof. Or. Kaufmann.) — Musik: Musikliteratur. (Zur Geschichte der Märchenopcr. Von Leopold
Schmidt). — Wichtigere Musikaufführungen: Münchener Bericht. — Bildende Künste: Berichte über üildende
Kunst. Berliner Bericht. Berliner Kunstausstellung II. (Schluß.) Dresdner Bericht. Ku nstl i t e ratur: (Dic antiken
Büsten des Homer. Von N. Hugo Magnus. Studien zur Geschichte der Oelfarbentechnik von F. Z. Cremer.j
Kunstblütter und Bilderwerke: Photographien und Photogravüren nach der Natur. — Vcrmischtes: Kunst und
Sozialdemokratie. Berichte über Vermischtes: Berliner Bericht.
 
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