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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 24
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0392

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sicheren Buchhafen vor Anker zu gehen. Jn gemeinfaßlicher
Erörterung reden sie von theoretischen und geschichtlichen
Fragen, wie von solchen der modernen Musikpflege, so
daß sowohl der Fachmann, für den namentlich die „Stu-
dien" über das chromatische Tonsystem und verdeckte
Oktaven und Quinten bestimmt sind wie der gebildete
Dilettant zu seinem Rechte kommt, — der letztere nament-
lich bei Aufsätzen wie denen vom Virtuosentum, von
Musikzeitungen, von Konservatorien, von Programmmusik,
von Tonmalerei u. a. m. Den breitesten Raum nehmen na-
türlich eine ganze Reihe Arbeiten ein, in denen Riemann
über sein Lieblingsthema, seine Phrasierungsreform aus-
sührlich sich verbreitet. Man erhält daraus ein klares
Bild von dem, was er mit diesen seinen Neuerungsvor-
schlügen bezweckt. Der Aufsatz über „Gesangsphrasierung"
sei aus dieser Gruppe hervorgehoben, als theoretische
Ergünzung der Riemannschen Liederausgaben mit seinen
Phrasierungsbezeichnungen im Steingraberschen Verlage,
den Sammlungen von Mendelssohn-, Schumann-,
Chopin- und Tschaikowskyschen Liedern.

Jn den Aufsätzen der ersten Abteilung finden wir
manche Bemerkung, die ins Schwarze trifft über soge-
nannte brennende musikalische Tagesfragen, mit denen
sich Jeder auseinandersetzen muß. Als ein besonderer
^ Vorzug tritt einem darin noch entgegen, daß der Ver-
fasser, so ost er auch polemisch-kritische Ausf allstellungen
annimmt, doch immer Maß und eine ruhig vornehme
Gesamthaltung zu wahren weiß. Meinen besonderen Bei-
fall in jedem Punkte finden namentlich die vortrefflichen
Aufsütze über Musikzeitungen und über Konservatorien, in
! denen eine unnachsichtig scharfe, aber gerechte Kritik über oft
besprochene Mißstände geübt wird. Auch der Aufsatz über
das sormale Element in der Musik sei noch hervorgehoben.

Rarl S ö h I e.

Mldende Ikünste.

Wertcbte ttber bildende 'lkmist.

Münch en er B ericht.

Die bildende Kunst wendet sich zweiselsohne wieder
mehr und mehr der Darstellung des menschlichen
Körpers zu, und Ähnliches, wie ich im vorigen Be-
richt über die Landschaft gesagt habe, gilt auch hier: nach-
dem man die rein koloristischen Probleme der Luft und
des Lichts begriffen und sich sicher zu eigen gemacht hat,
kann man beruhigt von neuem an die Aufgaben gehen,
die auch der modernen Auffassung der menschliche Körper
bietet. Um so mehr, als hier in besonderem Maße die
Zeichnung in Frage kommt.

Nicht als ob die Figur, und auch die Figur im Frei-
licht, in der vergangenenZeit nicht häufig dargestellt worden
wäre. Jm Gegenteil, zu einer Zeit, etwa um 1888 herum,
war die Figur im Freien sast der einzige Vorwurs, den der
Alaler in den Ausstellungsbildern behandeln mußte, wenn
er als „Moderner" gelten wollte. Nur war gar weniges
dabei, was auch seinem Geiste nach der modernen Kunst
im eigentlichsten Sinne wirklich angehörte.

Die große Mehrheit, die es gern mit rein äußerlichen
Erfolgen bewenden läßt, und die damals den Gesamtein-
druck bestimmte, glaubte, sie hätte mit der Erkenntnis, daß
Figuren, die im Freien stehen, nun auch im Freien gemalt
werden müßten, etwas so ganz außerordentliches geleistet,

^-^

daß sie die Anwendung dieser Erkenntnis, die für den, der
sie überliesert bekommt, doch recht einfach ift, nur in in-
ünitnm weiterzuführen brauchte. Aber mit dem Beobachten
des Freilichts war doch nur rein äußerlich eine Grund-
lage geschaffen, von der aus alle Aufgaben von einem
neuen Standpunkte aus gesehen werden konnten. Jch sage:
rein äußerlich, denn dem Haupterfordernis, die Welt —
n:ag es die reale oder die der Phantasie, die moderne oder
die historische sein—, mit modernen Augen zu sehen, war
damit noch nicht Rechnung getragen. Denn die Ausdrucks-
mittel des Freilichts übten doch noch keinen Zwang, die
Welt nun endlich mit sreien Augen, statt durch fremde
Brillen zu sehen; man konnte sich auch hier das Aeußer-
liche einigermaßen aneignen und im Grunde doch ganz in
den ausgefahrenen Geleisen bleiben.

Man war also in einer Hinsicht stehen geblieben, in
der andern aber auch weit über sein Ziel hinausgeschossen,
indem man kritiklos die neue Darstellungsart aus alles,
mochte es nun passen oder nicht, gedankenlos wie ein
Universalheilmittel anwendete. Es soll hier nicht weiter
erörtert werden, ob sich die Form des Historienbildes und
des Genres überhaupt für die moderne Kunst erhalten
läßt oder nicht — ich erkenne keinen vernünftigen Grund,
weshalb sie, vom Zünftigen und von den unkünstlerischen
Auswüchsen befreit, nicht weiterleben können —, aber in
der angedeuteten Art, sie anfzufrischen, war kein Verjüng-
ungsmittel zu sehen. Man blieb beim Alten und setzte nur
alles ins nüchternste fahle Grau, das sich bei gewissen Vor-
würfen, wie bei Bildnissen, abgesehen vom Unerfreulichen,
auch noch als sehr unzweckmäßig erwies.

Das alles sahen die Besseren gar bald ein, sie suchten
neben dem Studium unter sreiem Himmel auch wieder
das delikate Licht der Jnnenräume aus, in denen sich ja doch
der größte Teil des Lebens beim modernen Menschen ab-
spielt und das sie jetztwahrer und seinerwiedergeben konnten.
Wo sie aber das freie Licht anwendeten, entdeckten sie gar
bald die entzückenden Reize im Wechsel der Tageszeiten,
den warmen Schein des Abends, die blaue Dämmerung
der hereinbrechenden Nacht, angewendet auf die mensch-
liche Figur. Und sie sanden hier einen Wirkungskreis, der
besonders bei denen, die nun eine oerseinerte kolorist-
ische Teppichwirkung anstrebten, von unermeßlicher An-
regung war.

Suche man aus das Gesagte hin die Ausstellungen
anzusehen. Von jener Kunstepoche, die wir überwun-
den zu haben glauben, sinden wir so gut wie Nichts
mehr. Abgesehen von einigen ziemlich belanglosen patriot-
ischen Soldatenbildern sinden wir überhaupt keine Hi-
storie mehr. Mur Egger-Lienz' großes Bild „Das
Ave Maria der Tiroler Bauern nach der Schlacht am Berg
Jsel" macht eine Ausnahme und gibt die Lehre, daß nicht
das Historienbild unmöglich, sondern daß eben nur die
günstige Anfertigung von großen farbigen Jllustrationen
wertlos ist. Wenn Egger-Lienz auch kein Meisterwerk
ersten Ranges, so hat er doch ein schönes Bild geschaffen,
in dem ein gut Teil des modernen Könnens steckt, ohne
sich als Sache sür sich vor die Darstellung des Vorwurfs
ausdringlich vorzuschieben.

Auch das, was unter „Historischem Genre" eingeordnet
werden müßte, ist sast ganz verschwunden. Daß aber auch
hierbei nicht unter allen Umstünden ein Mißerfolg eintreten
muß, beweist uns diesmal Diez, dernach langem Schweigen
zum ersten Mal wieder auf einer Münchener Ausstellung
mitspricht. Diez ist eine kraftvolle im Leben wurzelnde

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