Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

DOI issue:
Heft 24
DOI article:
Rundschau
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0393

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Z^- - -

Künstlernatur; nnd wenn er auch mit dem einen Futz auf
alten Kupferstichen steht, so steht er doch mit dem andern
ganz im Leben. Wie übrigens heut die Jungen den Alten
entgegengekommen sind, so sind heute scheinbar die Alten
auch den Jungen entgegengekommen; mohl auch Diez hat
sich an den Ausdrucksmitteln der Modernen bereichert.
Mir wenigstens will es scheinen, als ob die ganze Farben-
anschauung, aus der heraus dies köstliche Raubritternest
gemalt ist, gar wenig Verwandtschast mit dem Alt-Bilder-
ton hätte, in dem Diez früher schwelgte.

Das Genre, das, was man früher so eigentlich unter
Genre verstanden, ist heute auch von den grotzen Ausftell-
ungen beinahe verschwunden. Das Wenige, was sich noch
von ihm zeigt, wie die Sachen von Eberle oder Spitzer
und dem höher stehenden Brütt ist belanglos; es hat bis
jetzt noch kein feiner Künstler den Beweis versucht, datz
dicse einst so sehr beliebte Gattung neu belebt werden könnte.
Zum Genre im weiteren Sinne muh man aber doch wohl
all die diskret beschreibenden Darstellungen aus dem Volks-
leben rechnen, und wenn man das thut, so finden sich et-
liche ausgezeichnete Leistungen, die mehr oder minder doch
auf dem Fundament der neuen Kunst aufgebautworden sind.

Wieder ganz wie bei der Landschaft, sinden wir auch
hier das, was ich neulich mit „gymnastischer Uebung" be-
zeichnet habe, nicht oder kaum mehr. Die zur Lebens-
gröhe angeschwollenen, von bleichem Licht wie vom Nebel
mnsluteten Gestalten mit Holzschuhen und blöden Gesichtern
würde man heut wie eine vor langem getragene Mode
belächeln - daß jene Mode ihrer Zeit kaum hätte um-
gangen werden können, thut dabei nichts zur Sache.
Es lätzt sich heut ziemlich die ganze Entwicklungskette
von den Lehren der Momentphotographie an bis zur
sensibelsten Entwicklung des impressionistischen * Farben-
künftlers überblicken. tzier betreten wir das Gebiet des
cigentlich Ausbaufähigen und teilweise schon Ausgebauten.
Das beginnt mit dem schlichten Naturausschnitt. Ganz
gewiß, es ist kein hohes Ziel, den Goldrahmen als das
Fenster zu betrachten, durch das man kühl in die Natur
hineinsieht, ist es selbst dann nicht, wenn schon eine
malerische reizvolle Erscheinung zu Grunde lüge. Aber
hier war doch der Ansang zur Selbstündigkeit. Jene
grotzen Versuche, von denen ich vorher sprach, sind nicht
mehr da — dasür finden wir einige Proben einer objektiv
korrekten, in jeder Hinsicht aber temperamentlosen Natur-
nnchbildung. Ein Beispiel ist Winter in Düsseldorf,
der uns u. a. in eine altoldenburgische Weberstube führt,
j deren helle Sauberkeit ohne eine Spur von eigener Zuthat
gegeben ist, sodaß das Auge von dem Bilde ganz dieselben
Eindrücke empsüngt, wie wenn es in die Stube selbst
blickte. Hineinsehen läßt sich in das Bild auf diese
Weise allerdings viel, wenn man in Stimmung ist — das
Bild selbst aber bleibt stumm, da man nicht ersährt, was
der Maler dabei empfunden hat. Seine Freude aber allein
an der plastischen „natürlichen" Wirkung haben, das ist
Publikumsplaisier. Es ist auch durchaus keine Kleinig-
keit, etwas so zu machen, man mutz ein geschickter Mann
dazu sein. Ein bedeutender Künstler? Nein, Künstler-
arbeit ist dabei nicht, Künstler haben Persönlichkeit.

Der Weg sührt nun weiter und hat gar viele Stationen,
an denen wir uns nicht aufhalten können. Er berührt

*) Jch bezeichne hier als Jmpressionisten nicht den,
der den Eindruck der Beobachtung eines Momentes, sondern
der die Stimmungsmomente, die er beim Anblick der
Natur empfindet, wiedergeben will.

! jene genrehaften Motive, von denen ich sprach, die eine
I leisere oder lautere persönliche Note haben, alle aber mit
modernen Augen gesehen und mit modernen Mitteln ge-
geben sind. Von H arb urger, dem feinen Schilderer be-
haglichen Bierbürgertums, der gerade noch hierhergehört,
bis zu Mackensen, der mit norddeutscher, ernfter Nüchtern-
heit sachlich den Schmerz der Bauernfamilie um das tote
Kind schilderte, ist ein weiter Weg. Bilder wie Schmutz-
lers Komödianten, irr denen er die prächtig beobachteten
Colombinen und Harlekine ins grelle llnterlicht der Bühnen-
rampe stellt, stehen daneben. Ro es e ler streift Desreggers
Gebiet, Hey das Ludwig Richters, Jautz ftellt sich in
seinem „Lied" vorwiegend eine koloristische Ausgabe,
Dettmann beschästigt sich in seiner Kunst mit dem mo-
dernen Arbeiter.

llnd immer deutlicher zeigen sich die Ziele, die sich
der schönheitssuchende moderne Maler gestellt hat. Jank
stellt seine anmutig bewegte Frauengestalt in die leuchtende
Pracht der Abendlandschaft, llnger seine beiden alten
Seebären gegen die kräftigen Farben der bewegten See.
Ein Beispiel sür die Beobachtung des schummerigen Lichts
der Innenräme bietet Oppler — und so könnte man noch
manche schöne Leistung auszählen. Datz es aber die mo-
derne Kunst schon auf dem Gebiet dieser Naturausschnitte
— allerdings am äutzersten Ende ihrer bisherigen Ent-
wicklung, zu wirklichen Meisterwerken gebracht hat, zeigt
Herterichs „Abendstimmung", die von so wundervoller,
sarbiger Schönheit, durchgeistigt und von Persönlichkeit
durchsetzt ist, datz man pessimistische Gedanken über die
Weiterentwicklung unserer Kunst vor diesem Bilde fallen
lätzt.

Ein verwandtes Gebiet ist die Porträtmalerei; die
Grundlage der ganzen Figurenmalerei. Das Bildnis zwingt
dcn ärgsten Manieristen zum eingehenden Naturstudium,
das ja hier allein zu Ersprießlichem führen kann. Man
wird keinen Trugschlutz ziehen mit der Behauptung, daß
Kunstepochen, die keine guten Porträts aufzuweisen haben,
nicht besonders hoch stehen — was historisch sich ja leicht
beweisen lietze. Vielleicht ergäbe das keine guten Rückschlüsse
gerade aus unsere deutsche Kunst, angesichts der Thatsache,
daß auf den diesjährigen Ausstellungen das Ausland durch-
schnittlich eine weit vornehmere Bildniskunst aufzuweisen
hat. Doch glaube ich, trifft das mehr eine Schwäche un-
serer Kunstpflege als des künstlerischen Könnens selbst.
Ferner können uns die einzelnen hochstehenden Leistungen
auch von Deutschen sür das Fehlen einer allgemein prak-
tisch angewandten vornehmen Porträtkunst bei uns teil-
iveise wenigstens entschädigen. Auch im Porträt wendet
man sich im ganzen und grotzen wieder mehr den Mitteln
zu, die sich seit Alters her für die klare Darstellung beim
menschlichen Bildnisse als die geeignetsten erweisen: tiefe
Tönungen, aus denen als geistiger Mittelpunkt das
menschliche Antlitz herauswächst. Lenbach hat das ja
stets so gemacht, und sich immer — beim Oelbild wenig-
stens — auch äutzerlich ganz an die alten Meister gehalten,
während er als herausarbeitender Psychologe weiter ging,
als jene. Auch Samberger malt in großer Abhängig-
keit von den Alten, ist dabei nur noch viel subjektiver als
Lenbach; sein Ziel scheint es zu sein, das. Abbild großer,
starker, harmonischer Menschen zu schaffen, zu denen er
dann das Modell nur als passenden Vorwand übernimmt;
seine Grotzzügigkeit geht oft so weit, datz sie die Manier
streift, während dagegen Lenbach viel mehr geistreicher
Detailarbeiter ist.


37?
 
Annotationen