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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 24
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0394

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Die Ausländer, besonders die Briten, weisen den Weg,
dasselbe wie jene Beiden zu erreichen und dabei doch
den beschrittenen Weg als moderne Maler zu Ende zu führen.
Aber auch bei den Deutschen gibt es etliche, die die neu
errungenen farbigen Mittel auf das Porträt anwenden, wie
Habermann, Balmer, Sch uster-Wo ldan u. a., die,
ohne dies Charaktcrschilderung zu unterdrücken, die kolo-
ristische Stimmung im modernen Sinne mit zum Dar-
stellungsfaktor machen.

P> a u l S ch u l tz e - N a u m b u r g.

vernliscbtes.

* OericbtL über Derscbiedencs.

Berliner Bericht.

Wenn ich an die Millionen Gegenstände denke, die in
der Berliner Gewerbe-Ausstellung Platz gefunden
haben, so schwebt mir eine Eigenschaft in erster Linie
vor Augen: der Fleiß. Diese tüchtigen Sandbewohner,
welche einst der Natur alles abzuringen hatten, ringen
heut der Kultur mühsam und nicht erfolglos alles ab,
was ihnen von Haus aus versagt ist. Sie haben keine
eingeborene altdeutsche Renaissanceweise, wie die Nürn-
berger, sie haben keine anregenden Genies aus kunstge-
werblichem Gebiet, wie sie die Münchener von Zeit zu
Zeit haben, sie sehen sich in der Weltgeschichte um und
übersetzen das Gewerbe in Jndustrie, alle ersolgreichen
Strömüngen in gangbare Münze verwandelnd. Während
in der Nürnberger Ausstellung dieses Jahr die Möbel
noch kaum englisch sprechen können, haben sie es hier mit
einer erstaunlichen Schnelligkeit gelernt und brüsten sich
gar verwunderlich ob dieser Modefexerei.

Der Grundcharakter der Berliner kunstgewerblichen
Jndustrie (von der ich hier wesentlich spreche) ist der
kleinbürgerliche. Berlin war eine arme Stadt, und es
ist immer noch eine arme Stadt gegen Paris und London.
Alles Glück und Unglück des langsamen Reicherwerdens
hat es erfnhren müssen, und nichts redet diese Sprache deut-
licher als das Kunstgewerbe, welches der intimste Spiegel
des kleinen privaten Lebens ist. Einst hatte man seine gute
Stube mit den Servanten, dem Plüschsopha und dem Eck-
schränkchen, das die letzten Seufzer des bürgerlichen Empire
dürstig, aber stilvoll aushauchte. Nachdem das letzte
Empire und das letzte Mahagoni gestorben, war Berlin
schon eine wichtigere Stadt geworden, eine industrielle
Stadt, und man nahm die eben wieder auftauchende
Renaissance und steckte sie in die Räder der Dampfma-
schine, die L tempo Muscheln, Kugeln, Süulen, Pilaster,
Tropfen, vier- und achteckige Klötze u. s. w. in Massen
hervorspie. Mit dieser Dampsrenaissance begann sich der
kleine Bürger zu tüuschen, er kaufte die billigen, schlecht-
geleimten Fabrikate und sühlte sich vornehm. Damit war
die Stilmeierei hier geheiligt, und sie hat seitdem die
furchtbarsten Epidemien über uns hingeschüttet. Der
Reihe nach kamen die Barock-, die Rokoko-, die Empire-,
die englische Epidemie, auch tobten sie öfters gleichzeitig,
wie noch diesmal Hermann Gerson die bckannte Tischler-
weisheit predigt, daß der Salon Rokoko, das Herren- und
Speisezimmer Renaissance, das Früuleinzimmer englisch,
das Boudoir Empire sein müsse — und so ffort. Die
Stilmeierei ist das echteste Zeugnis einer Parvenü-Kunst,
das man sich denken kann. Jch kann mir eher vorstellen,
daß sich ein geschmackvoller Mann ganz in Empire ein-

richtet, als daß er die Empireempsindung in der einen,
die türkische Empfindung in der andern Stube haben
wird. Das wäre ein Posieren mit Stimmungen, welches
viel zu uneinheitlich ist, um uns von seiner Echtheit über-
zeugen zu können. Aber dem Parvenu imponiert diese
Geographie der Stile, er fühlt sich in dieser salschen
Wissenschaft geschmeichelt, wie er es liebt, seinen Corot
und seinen Pradilla auszurufen, ohne von Corot und
Pradilla irgend etwas zu wissen. Besonders bei dem
Berliner Kleinbürger fiel das auf fruchtbaren Boden, er
konnte jetzt die großen Bürger nachmachen, und sür wenig
Geld sechs Stile bei sich beherbergen — war das nicht
sast ein Palais? Fabrikarbeit, die einige Monate lang nett
und sauber und vor Allem „nach etwas" aussieht, war
sein Jdeal. Wie bitter wurde die Architektur Lügen ge-
straft, die in derselben Zeit so aus Material-Echtheit
pochte!

Aus diesenr Punkte steht die Möbel-Ausstellung in
Treptow. Die große Fülle der Ausdrucks-Möglichkeiten,
welche an und sür sich in der Benutzung der Stile ge-
geben ist, wird in der Retorte der Bourgeoisismus ausgelöst.
Jn diesem Rahmen verlieren auch tüchtige Leistungen, die
im englischen Stil zahlreich vorliegen, an Wert; hervor-
ragend allein ist der Geschmack, mit dem Zwiener seine
Louis XIV.-Möbel und Cotta seine Stollenschränke fertigt,
und die Beherrschung deutscher gotisierender Renaissance,
die Pfaff in seinem Herrenzimmer osfenbart. Ein Gau-
dium sind die Rettungsversuche einiger Firmen, welche
entweder die Stile noch nicht verstanden haben oder sich
darüber erhaben fühlen. Da sieht man Schnitzmöbel, gegen
die eine italienische Holzarbeit die reineMücksicht auf das
Staubtuch ist; man sieht lilagestrichene Schlafzimmer mit
aufgemalten Watteaulandschaften; man sieht ein Schlaf-
zimmer einer, sagen wir Operettendiva in pfirsichgrün
und aprikosenrot, das mit einer wahrhaft provinziellen
Phantasie entworfen ist. Mit Schlafzimmern ködert man
gern, wie auch neulich beim Volkssest des Vergnügungs-
parks ein „komplettes Schlafzimmer" den Hauptgewinn
der Lotterie bildete, während gleichzeitig eine Schönheits-
Konkurrenz stattfand. Jn solchen Dingen zeigt sich am
ehesten der Charakter der Ausstellung, die mit blutigen
Farben, mit magischen Erkern, mit billigen Kopien blenden
will, ohne aus einem feinen Sinn sür Meublement ent-
wickelt zu sein, ohne überhaupt von den gesetzten Lehren
soliden Wohnens etwas zu wissen. Das Prachtbüsfet von
Groschkus, das einem italienischen Grabmal verzweifelt
ähnlich sieht, donnert alle Nachbarschaft nieder — und die
wenigen überzeugenden weltmünnischen Kundgebungen
gehen in der Parvenükunst unter.

Wenn man iu dem alten Peller-Hause in Nürnberg,
zwischen dessen getäfelten Wänden und durchbrochenen
Galerien heut die Firma Eysser ihre herrliche Auslage
eingerichtet hat, außer den trefflichen, vernünftigen Möbeln
ohne den Krieg der Stile auch auf all die kleinen kunst-
gewerblichen Dinge achtet, die Kannen, Figuren, Fayencen,
die da herumstehn, so erinnert man sich schmerzlich ganzer
Brachfelder, die auf diesen Gebieten Berlin bietet. Die
Alleen der Galanteriewaaren, der Bronzen, der Lampen,
der Juwelen, der Silbersachen gähnen vor Öde. Wenige
Dinge, wie einige Wernersche Silberarbeiten, oder die
Ottoschen Zinn- und Kupfertreibsachen, stechen ins Auge,
als aus einem aristokratischen Geschmack geboren. Ganze
Reihen aber sallen in das fürchterliche Bereich gutbürger-
licher Hochzeitsgeschenke, und es fehlt nicht viel, so glänzt



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