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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0052

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Jm Pfarrhaus zu Buch am Ahorn.

Unterschüpf, mußte mehrmals verreisen, und ich wurde deshalb weniger
überwacht, ich hatte bisher nur die Fabeln Aesops, Hagedorns munteren
Seifensieder und die unverfänglichen Gedichte eines Lichtwer und
Gellert kennen gelernt. Die lebhafte Schilderung der grüulichen
Katzenmusik in Lichtwers lehrsamer Erzühlung mit der Nutzanwendung:
„Blinder Eifer schadet nur," versetzte mich in ein krampfhaftes Lachen,
aus dem ich den ganzen Abend nicht heraus kam. Wührend des
Pfarrers Abwesenheit machte ich mich nunmehr hinter Zschokkes Abäl-
lino und seine Novellen, die meine Phantasie mehr als gut erregten,
zuletzt ritt ich sogar auf Wielands Hippogryphen ins alte romantische
Land, wozu es noch mindestens sechs Jahre Zeit gehabt hätte.

Unsere Spaziergänge richtete der Pfarrer ebenso unterhaltend
als nützlich ein. Er lehrte mich alle Strüucher und Bäume des Waldes
kennen; wir gruben Pflanzen aus und versetzten sie in den Garten
am Pfarrhaus, schrieben ihre botanischen Namen auf kleine Schilde
und befestigten sie an Stäbe, die wir daneben steckten. — Auch lehrte
er mich im Wald ein Spiel, das mir vielen Spaß machte. Jch kletterte
an jungen, schlanken Birken bis nahe zum Gipfel hinauf, faßte dann
den Stamm mit beiden Händen und ließ die Beine los. Meine Last
bog das Bäumchen fachte mit mir zur Erde, ich kam ftehend auf den
Boden und ließ den Stamm fahren, im Nu schnellte die Birke in die
alte gerade Stellung zurück. Das Vergnügen war groß, aber eines
Tages nahm das Spiel ein uuerwünschtes Ende. Jch war wie immer
an dem Bäumchen zum Gipfel hinaufgeklettert, hatte ihn gefaßt und die
Beine losgelasfen, da entglitt der Stamm meinen Händen und ich
tanzte durch die Luft herab auf den Boden, wo ich weich im Laube
niederfiel. Der Pfarrer erfchrack, lief herzu, doch hatte ich keinen
Schaden genommen. Jch durfte von da an das fchöne Spiel nicht
wieder üben.

Die Leute in den großen Städten halten das Leben auf dem
Lande für einförmig und langweilig, es bietet jedoch für Kinder besfere
und gesundere Unterhaltung als die Stadt. Zugleich lernen sie eine
Menge nützlicher Dinge kennen, die dem Stadtkinde häufig zeitlebens
bis zur Lächerlichkeit fremd bleiben. Jn das hastige, aufregende
Treiben der Städte können sie fpäter noch frühe genug eingeführt werden.
 
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