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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0070

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Mannheim.

Bauernhöfe, wo billiger Wein geschenkt wurde. Eine Schisfbrücke,
die beim Eisgang abgeführt werden mußte, führte von der Rhein-
fchanze nach der Stadt herüber. — So fah es Mannheim gegenüber
da aus, wo sich heute Lndwigshafen hinstreckt, die bevölkertste Stadt
der bayerischen Rheinpfatz, in Handel und Jndustrie die Rivalin
Mannheims.

Die Festungswälle rings um Mannheim waren abgetragen, die
Gräben aber noch nicht völlig trocken getegt und zngeworfen. Das
Sumpffieber, das die Festnng einst oft schwer heimgesucht hatte, war
nicht ganzlich ausgerottet. — Jn weitem Bogen zog der alte Wall-
graben vom Rhein her ostwärts um die Stadt bis zum Neckar; dicht
mit Schilf bewachsen lief er durch das Wiesengelände, das die Gegend
des heutigen großen östlichen Villenviertels mit der Ringstraße ein-
nimmt. Jn dem Rohrdickicht nisteten und lärmten unzählige ge-
schwützige Rohrspatzen, sie reizten unsere Jagdlnst, es glückte mit-
unter, sie mit den Händen zu fangen. Nicht minder lockte es uns,
die Uferschwalben zu überlisten, die am hohen Rheingestade gegen
Sanddorf hin ihre langen unterirdischen Günge gruben.

Angenehme Spielplütze bot der Schloßgarten mit seinen reizenden
Wegen, grünen Wiesen, dichten Büschen und hohen Bäumen. Nur
die Lieder der gefiederten Sänger unterbrachen die friedliche Stille
des Parks. Heute ertönt hier der schrille Pfist der Lokomotiven und
rasseln lange Bahnzüge, beladen mit Gütern und Menschen, zu der
mächtigen Brücke, die jedem Anprall von Flut und Eis widersteht,
um in Ludwigshafen die andere Seite des Rheins zu gewinnen.

Die Mannheimer waren noch keineswegs versöhnt mit der neuen
Ordnung der Dinge, die ihre Stadt vom ersten Rang der Haupt- und
Residenzstadt der Kurpfalz zum Range der zweiten des Großherzog-
tums Baden herabgesetzt hatte. Sie klagten um die entschwundenen
herrlichen Zeiten des prachtliebenden Kurfürsten Karl Theodor. Die
Geschichte hat ein strenges Gericht über den üppigen Fürsten gehalten,
der mehr als ein halb Jahrhundert, bis 1799, die Pfalz regierte;
aber die Mannheimer schwärmten für ihren Karl Theodor, wie die
Franzosen für ihren Sonnenkönig Louis XIV. Der Regentengtanz
des Pfälzers verhielt sich sreilich zu dem des Franzosenkönigs wie
 
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