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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0097

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Mein Bruder Rudolf.

77

Getrieben von dem Gefühle inniger Dankbarkeit fuhr mein Vater
wieder nach Karlsruhe und erfuhr hier, daß die Rettuug seines Sohnes
einzig und allein durch das persönliche Eingreifen des jungen Attachs
möglich geworden war. Der gutherzige Franzose gehörte einer vor-
nehmen Familie an und war ein Vetter des Präfekten in Straßburg.
Von tiefem Mitleid mit meinem Vater ergriffen, hatte er sich unverzüg-
lich an den Prüfekten gewandt und ihn vermocht, den Kriegsminister in
Paris mittelst des damals in Frankreich benutzten optischen Telegraphen
um die Entlaffung Rudolfs anzugehen. Der Minister schickte gleich-
falls telegraphifch den Befehl nach Toulon, wo er gerade noch recht-
zeitig, am Abend vor der Einschiffung der Legionäre, ankam.

Leider konnte mein Vater dem Attachs seinen Dank nicht per-
fönlich aussprechen, der junge Herr hatte Karlsruhe eben verlasfen
und war nach Frankreich zurückgekehrt. Mein Vater war ein großer
Franzosenfreund — ich werde darauf zurückkommen — und dieses Er-
lebnis bestärkte ihn vollends in feiner Franzofenliebe. Sobald er
mich wieder fah, begrüßte er mich mit den Worten: „Begreifst du
nun, weshalb ich für diese Nation fo eingenommen bin? Was hat
der Franzose nicht alles für mich gethan, obwohl ich ihm fremd gegen-
überstand und nur ein unbedeutender Arzt vom Lande bin! Prä-
fekten und Minister hat er aufgeboten, um mir meinen Sohn wieder
zu verschaffen, und für deinen Bruder, diefen dummen Jungen, sogar
den Staatstelegraphen durch ganz Frankreich iu Bewegung gesetzt. Gott
lohne es ihm, wenn er einst selbst Familie besitzt, an feinen Kindern!"

Freilich war damit nur eine drückende Sorge beseitigt, um einer
andern Platz zu machen. Was follte jetzt mit dem Geretteten geschehen?
— Ein Freund meines Vaters in Karlsruhe riet ihm, es nochmals
mit den humanistifchen Studien in dem ganz vorzüglich geleiteten
Karlsruher Lyceum zu versuchen, und erbot sich, Rudolf in die
eigne Familie aufzunehmen. Diefes Anerbieten wurde dankbar ange-
nommen, und die hohe Gestalt des Jünglings zierte jetzt die Bänke des
Karlsruher Lyceums. Er wurde bald in der Klasse beliebt, das be-
standene Abenteuer verlieh ihm einen romantischen Schimmer, und ein
unleugbares poetifches Talent verfchaffte ihm gleich talentierte Freunde.
Einige Mitfchüler, Ludwig Eichrodt, Karl Blind u. A. hatten einen
 
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