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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0209

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Romantik u. Rationalismus zu Beginn d. Jahrhunderts iu Heidelbcrg. IgA

sich abends zur Museumsgesellschaft schleppeu sahen, fragteu wir uus
verwuudert: „War es möglich? konnte dieser Alte mit der roterr
Perücke einst das Herz eiuer edeln, schönen und geistreichen Juug-
frau so in Liebe eutzünden, daß sie dem, durch die Bande der Kirche
und der Daukbarkeit bereits gefesselteu Freunde nicht zu entsagen ver-
mochte und sich verzweifelnd den Dolch in den Busen stieß?"

Mit dem Schimmer der Romantik war es zu Anfang der vier-
ziger Jahre in Heidelberg vorbei. Heftige Gegner waren ihr schorr
bei der Wiedergeburt der Universität erstanden, trotzige, auch hage-
buchene Versechter des Rationalismus, die sie bekämpften, bewültigten,
in der medizinischen Fakultät bald ausschließlich herrschten.

Damit die Heidelberger Universität im Glanze berühmter Namen
gleich bei der Neubegründung weithin strahle, berief Karl Friedrich
1805 den sprachgewaltigen Johann Heinrich Voß, der den Deutschen
den Homer geschenkt hat, wie einst Luther die Bibel. Der Löwe
von Eutin hatte sich in Jena zur Ruhe gesetzt, als ihn Karl Friedrich
einlud, nach Heidelberg überzusiedeln, um an der Hochschule mitzu-
wirken, nicht als thätiger Professor aus der Lehrkanzel, sondern einzig,
durch seine anregende Gegenwart, und er kam. Der streitfertige„
knorrige Niedersachse wirkte mit elektrischer Kraft durch Reibung nnd
Jnduktion und brachte mit Wettern und Blitzen dem fruchtbaren Erd-
reich Segen. Mit Schwert und Schild wahrte er grimmig die reine
Wissenschaft vor der Verführung durch die leichtfertigen Romantiker„
Symboliker und Mystiker. Jn seinen Augen waren die Goerres und
Creuzer gefährliche Phantasteu, ihre Lehren eitles Geflunker, und des
Knaben Wunderhorn schalt der Grobian einen „zusammengeschaufelten
Wust" *) und „heillosen Mischmasch von allerhand bugigen, schmutzigen„
trutzigen und nichtsnutzigen Gassenhauern, samt einigen abgestandenen
Kirchenhauern." Ebenso wie die Wissenschaft, war der Glaube dem
ehrlichen Manne Verstandes- und Herzenssache zugleich. Er haßte
die katholisierende Richtung der Zeit und schrieb sogar dem alten
Jugendfrennde und Göttinger Hainbundgenossen den Absagebrief mit
der Aufschrift: „Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?"

*) Wörtlich aus Georg Weber, a. a. O. S. 147.

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