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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0210

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190 Romantik u. Rationalismus zu Begiun d. Jahrhunderts iu Heidelberg.

Voß zur Seite stand bis zu dessen Tode 1826 der nicht minder
streitbare Schwabe, der großherzoglich badische geheime Kirchenrat,
Professor der Exegese und „Erzvater des Rationalismus," Gottlob
Paulus, in den Augen der Orthodoxen der leibhastige Antichrist. Auf
meiner erwähnten Ferienreise in den Schwarzwald 1842 begrüßte
mich mein strenggläubiger Oheim in Buhlbach mit den Worten: „Hat
der Tenfel eueren Paulus in Heidelberg noch immer nicht geholt?" —
Der Tenfel fürchtete die scharfen Waffen des unerschrockenen Theo-
logen, der ihm keine Macht und nicht einmal die Existenz zugestand,
und Paulus hat es, trotz ewiger Fehden auf allen Gebieten des Wissens,
Glanbens und des öffentlichen Lebens, auf 90 Jahre gebracht; er ist
erst 1851 gestorben.

Glücklicher, als Voltaire einst sür die Sache des schändlich ver-
urteilten Calas stritt, rettete Paulus dem Kölner Fonck das, nach dem
llrteil des Schwurgerichts verwirkte Leben. Er wagte noch Kühneres,
sast Unglaubliches, denn er trat furchtlos für das junge Dentschland
ein und sür Gntzkows gottlose „Wally, die Zweiflerin," obwohl der
hohe Bundestag jenes in die Acht gethan und Gutzkow, auf Menzels
Betreiben, vor die Gerichte gestellt hatte.

Der unermüdliche Kämpe hat auch die Medizin sich verpflichtet. *)
Fast früher als die Aerzte erkannte der Theologe die Gefahr, womit
Schellings Natnrphilosophie die Heilknnde bedrohte. Den Einfluß
solcher Phantasmen auf das ärztliche Studium nannte er „tragisch",
man könne solcher „Taschenspielerei" nicht frühe genug ein Ende machen.
Gs sei ein gefährliches Spiel, die Medizin am Stndiertisch aus dem
Kopfe, statt aus der Beobachtnng und dem Versuche, aufznbauen.
Der Rationalist besah sich ohne Brille die Welt. Wenn die deutsche
Medizin fast in allen Stücken hinter der französischen und englischen
zurückblieb, so war nur die schlechte Methode der deutschen Forschnng
daran Schuld, die sich dnrch blendende Phrasen auf die Abwege oft
geistreicher, aber hohler Spekulation hatte verlocken lassen.

Neben Paulns und andern Gelehrten, z. B. dem Geschichts-

*) Vgl. die geistvolle Würdigung der Thätigkeit von Panlus in den
bad. Biogr., Bd. II, S. 119, durch Prof. Holzmann.
 
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