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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0303

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Wunderkuren.

Änter dem Namen Wunderkuren begreist das Publikum auf-
fallende Heilungen mannigfacher Art.

Bisweilen ist es der Zufall, der Heilungen fertig bringt, die
den behandelnden Arzt felbst in Verwunderung fetzen und ihm den
weder erstrebten noch erwünfchten Rnf eines Wunderdoktors einbringen.
Eine ergötzliche Gefchichte aus der eigenen Praxis hat mir mein Vater
erzählt.

Eines Tags kam ein Bote aus einem entfernten Dorfe des
Rheinthals nach Graben, wo mein Vater damals praktizierte, und
verlangte ihn zu einem Bauern, der sich seit einigen Wochen übel
fühlte, wenig mehr aß, mager und fchwach wurde und das Bett hütete.
Die Sache eile nicht, ließ der Kranke fagen, könne mein Vater nicht
felbst in den nächsten Tagen kommen, fo möge er ihm einstweilen
eine Arznei durch den Boten fchicken. Mein Vater verschrieb ihm
eine Eibifchabkochnng mit Syrup, die keinesfalls schaden konnte, und
machte fich einige Tage nachher auf den Weg zu dem Kranken.

Jnzwifchen hatte der unschuldige Trank Wunder gethan. Der
Bauer war außer Bett und ließ sich, als mein Vater bei ihm eintrat,
gerade eine gebratene Taube fchmecken und trank ein Glas Wein dazu.
Er begrüßte meinen Vater vergnügt: „Herr Doktor, das habt Jhr
gut gemacht, aber es war eine Roßkur, sie hat mich gründlich aus-
gefegt und die Krankheit ausgetrieben. Zum zweitenmal brächt' ich
die Ameisen nicht hinunter, anch blieben noch einige übrig in dem
Arzneifläfchchen, es steht dort am Fenster."
 
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