Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0318

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
298

Vomierkuren.

Man verwendete znm Vomieren die Brechwurzel oder Rmäix
Ixsonenniriins, die unter Ludwig XIV. aus Brasilien nach Paris
kam, und den schon länger bekannten und heftiger wirkenden Brech-
weinstein oder BnnIni'iiL stiliintiiZ. Die heutige Medizin versügt
noch über ein drittes Mittel zu diesem Zweck, das Vxoiiionxliin;
schon in der winzigen Gabe von 1 ooiitiAnniiiiii vermag es, unter die
Haut eingespritzt, den Magen von Gift zu befreien.

Man gab die Vomitive nicht nur zur Entleerung des Magens,
sie dienten auch zur Entfernung von Schleim und kroupösen Häuten
aus den Luftwegen. Außerdem erhoffte man Nutzen von ihrer mäch-
tigen Einwirkung auf die absondernde Thätigkeit zahlreicher Drüsen;
beim Vomieren ergießen sich daraus Ströme von Speichel und
Schleim, Galle und Schweiß, damit beabsichtigte man die in das
Blut und die Gewebsäfte des Körpers bereits eingedrnngenen Kon-
tagien und Miasmen herauszuschwemmen. Endlich hoffte man mit-
telst der Erschütternngen, die mit dem Eingriff verbunden waren,
verstimmte Saiten im Nervensystem wieder zum richtigen Schwingen
umzustimmen.

Wie prompt nnd sicher in vielen Fällen dieses Heilversahren
sich erwies, kann von den lebenden Aerzten vielleicht niemand aus eigner
Erfahrung besser berichten als ich. Jch habe mindestens 8—9mal
Vomitive eingenommen, nicht bloß in jungen Jahren, auch noch im
Mannesalter, zuletzt 1864.

Ziemlich seuchenfest, blieb ich in meiner Jugend von den Krank-
heiten, die namentlich das Kindesalter bedrohen, Scharlach, Masern,
Keuchhusten u. dgl., ganz verschont. Auch der Darmtyphus, der die
meisten meiner Geschwister befiel, ließ mich unberührt, obwohl ich sie
pflegen half, und befiel mich erst im reifen Mannesalter, 1863, in der
leichten Form des sog. Schleimfiebers. Nur zwei ungefährliche Krank-
heiten suchten mich bis in das Mannesalter häufig heim: eine ober-
flächliche (lakunäre) fieberhafte Mandelentzündung, die mit der Regel-
mäßigkeit eines Uhrwerks jedesmal in drei Tagen ablief, und 'eine
Störung der Magenverrichtungen in Gestalt eines fieberlosen Gastri-
zismus oder ausnahmsweise eines gastrischen Fiebers. Vermutlich
verschuldete jedesmal irgend eine schädliche Speise den verdorbenen
 
Annotationen