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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0506

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486

Weiland Gottlieb Biedermaier.

zeitlebens frei geblieben von sentimentalen, weltschmerzlichen und poli-
tischen Anwandlnngen. Dadurch unterschied er sich wesentlich von andern
Poeten, die, der wechselnden Zeitströmung huldigend, gleichfalls unbeab-
sichtigte komische Wirkungen erzielten. Er war ganz und gar naturwüchsig
und harmlos. Seine poetische Ader glich den friedlichen Bächlein seiner
stillen Kraichgauer Heimat, über die er kaum je hinauskam. Seine Muse
kannte nnr die Freuden und Leiden seines Dorfes, hier hatte er mit den
andern Jungen die Zwetschgen geschüttelt und die Wallnüsse von den
Bänmen gebengelt, hier als Schulmeister die Jugend in der Furcht
Gottes und des Herrn Amtmanns erzogen, hier hatten ihm die Ge-
vattersleute seine Apollonia „gekuppelt", die Gute, die 33 Jahre ge-
treu mit ihm gehaust und ihm sieben Kinder beschert hatte. Jhr Tod
hatte ihn zum betrübten Witwer gemacht. „Traurig ist es,einsam leben!"
sang der Verlassene, „einsam schlafen, nichts daneben!" Eignes und
fremdes Leid bewegten sein Herz und das „Zeitungsblättle" hielt ihn
mit den großen Weltereignissen auf dem Laufenden. „Leipzigs acht-
zehnten Oktober schrieb er in das Zeitbuch mit Zinnober." Teilneh-
mend besang er den großen Brand in Kürnbach, „diesem Marktsleck
zweier Staaten, abgeteilt bei Hessen und bei Baden." Rührend flehte
er zum Himmel: „es steht ein Wetter grad über der Erd, wenn's nur
ins Württembergische fährt!" Und innigen Dank spendete sein warmes
Gemüt dem Pfarrverweser Fesenbeck, der sich die Liebe der Flehinger
verdient hatte:

„Fesenbeck, bei deinem Scheiden
Werden unsre Augen naß, —

Alle wollen dich begleiten,

Sieh die große Menschenmass'!

Nie noch war die Liebe größer
Gegen einen Pfarrverweser."

Zu meinem Erstaunen fand ich mitten unter diesen drolligen Ge-
dichten drei mir bekannte, die zu Volksliedern geworden waren, auch in
Gedichtsammlungen Aufnahme gefunden hatten nnd für Erzeugnisse des
Wandsbecker Boten Claudins galten, an dessen Dichtnngsweise sie erin-
nerten. Zwei davon hatte ich als Student singen hören, das „Kar-
tossellied" und das „Lied vom Dorfschnlmeisterlein." Jn jenem ver-
kündet er das Lob eines Wohlthüters der Menschheit:
 
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