Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
12

Genuss und das künstlerische Schaffen hauptsächlich ausmacht.
Ist dieses aber erst einmal gefunden, so sind damit gleichzeitig
die Gesetze des künstlerischen Geniessens und Schaffens ermittelt.
Denn es ist klar, dass diese jenem nicht widersprechen dürfen.
Und aus den Gesetzen des künstlerischen Schaffens ergeben sich
unmittelbar auch die Gesetze der Kunstentwickelung.
Wenn ich hier von „Gesetzen“ spreche, so meine ich das
natürlich nicht im Sinne der Mathematik oder der ihr zunächst
stehenden Naturwissenschaften, wo das Gesetz den Forscher bekannt-
lich befähigt, genau zu sagen, was unter gewissen von ihm selbst
herzustellenden Bedingungen notwendig erfolgen muss. Sondern ich
meine es in dem weiteren Sinne, in dem es sowohl in den weniger
exakten Naturwissenschaften als auch in den Geisteswissenschaften
in der Regel gebraucht wird, d. h. in dem Sinne von allgemeinen
Wahrheiten, die provisorisch acceptiert werden, weil sie einerseits
keiner der bis dahin bekannten Thatsachen widersprechen, anderer-
seits wohl geeignet sind, alle einzelnen Thatsachen und Phänomene
einheitlich zu erklären.
Eine genaue Distinktion zwischen Prinzipien, Theorien, Hypo-
thesen und Gesetzen müssen wir den Logikern überlassen. Nach
unserer Auffassung ist der wichtigste Unterschied, der zwischen
ihnen besteht, der, dass sie einen verschiedenen Grad der Gültigkeit
haben. Dabei schliessen wir uns denen an, die zwischen Natur-
und Geisteswissenschaften in dieser Beziehung keinen prinzipiellen
Unterschied machen. Es mag schwerer sein die Gesetze des
geistigen Lebens zu ermitteln als die der Natur, weil die Ver-
hältnisse dort komplizierter liegen und unberechenbarer sind als
hier. Und dementsprechend mögen auch die Gesetze der Geistes-
wissenschaften weniger allgemeingültig sein als die der Natur-
wissenschaften. Aber Gesetze giebt es dort wie hier und eine
Geisteswissenschaft, die nicht nach ihnen suchte, wäre überhaupt
keine Wissenschaft. In der That reden wir ja auch z. B. längst von
Gesetzen der Sprachentwickelung und der Volkswirtschaft, es liegt
also gar kein Grund vor, die Ermittelung von Gesetzen der künst-
lerischen Thätigkeit für unmöglich zu halten.
Die Behauptung, dass die historische und somit auch die
kunsthistorische Entwickelung lediglich durch die grossen Persön-
lichkeiten bestimmt werde und sich infolgedessen jeder gesetzlichen
Normierung entzöge, ist unhaltbar, weil sie von falschen Voraus-
setzungen ausgeht. Sie beruht nämlich auf der Annahme, dass
 
Annotationen