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die grossen Persönlichkeiten ihrerseits thun und lassen könnten,
was sie wollten, während ja auch ihr Thun gesetzlich bedingt sein
kann. Um die Gesetzlichkeit der historischen Entwickelung zu
leugnen, muss man eben von der Voraussetzung der menschlichen
Willensfreiheit ausgehen. Diese Voraussetzung lässt sich aber be-
kanntlich philosophisch nicht begründen. Im Gegenteil, gerade
die bedeutendsten Philosophen und ebenso die grössten Männer
der Weltgeschichte selbst sind stets von der Überzeugung durch-
drungen gewesen, dass alles Geschehen kausal bedingt und folg-
lich auch das Genie in seinem Thun und Lassen höheren Gesetzen
unterworfen sei.
Das schliesst nicht aus, dass man aus opportunistischen Grün-
den oder im Sinne eines ethischen Postulats die Selbstverantwortung
des Menschen d. h. also wenigstens die Illusion der menschlichen
Willensfreiheit statuieren kann. Dieser Auffassung könnte ich mich
wohl anschliessen, und ich will deshalb gleich hier bemerken, dass,
wenn ich im folgenden von Freiheit, Freiwilligkeit des Kunst-
genusses u. s. w. spreche, ich dies nicht im streng philosophischen
Sinne, sondern immer nur im Sinne der Illusion der Freiheit verstehe.
Die Naturwissenschaft lehrt uns, dass wenn auch nicht alle,
so doch fast alle körperlichen Eigentümlichkeiten der Lebewesen
nützlich sind, dass sie sich so und nicht anders ausgebildet haben,
weil sie gerade so der betreffenden Art im Kampfe ums Da-
sein am nützlichsten waren. Ob man dies teleologisch oder ent-
wickelungsgeschichtlich begründen will, ist für unseren Zweck
gleichgültig. Uns genügt es zu konstatieren, dass die Formen der
Arten sich gerade so entwickelt haben, wie sie dem Individuum und
mit ihm auch der Art den meisten Nutzen brachten. Genau dasselbe
werden wir bei den geistigen Eigenschaften voraussetzen müssen.
Das oberste Gesetz alles menschlichen Thuns, Denkens, Fühlens und
Wollens ist das Wohl der Gattung, d. h. die Erhaltung und wenn
möglich körperliche und geistige Steigerung des Menschengeschlechts.
Hiergegen kann man natürlich nicht einwenden, dass eine solche
Steigerung bisher nicht zu bemerken sei, ja dass das Menschen-
geschlecht nach der Auffassung vieler Gelehrter überhaupt weder
geistig noch körperlich wesentliche Fortschritte mache. Denn
einmal wäre es ja möglich, dass bei der kurzen Spanne Zeit, die
seit dem Auftreten des historischen Menschen im Vergleich zu den
grossen geologischen Epochen verstrichen ist, die Veränderung
nicht bemerkbar wäre, dann aber bliebe doch immerhin, auch
 
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