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stilisierten Ornament sieht. Und dieses hat im allgemeinen nur
wenig mit der Natur zu thun, wenn es ja auch selbstverständlich
aus der Natur abgeleitet ist.
Endlich kann man auch in der Musik sehr wohl von einer
Nachahmung der Natur reden, besonders soweit es die Tonmalerei
betrifft, die ja darauf ausgeht, Geräusche der Natur und des Lebens
mit Tönen nachzuahmen. Aber kein Kenner der Musik ist darüber
in Zweifel, dass gerade diese Form eine ziemlich niedrige Stufe
darstellt, dass jedenfalls die nicht malende Musik bei weitem
höher steht. Beim Tanz und bei der Baukunst zumal empfindet
man die Abweichungen von der Natur immer viel stärker als die
Übereinstimmung.
Wenn nun in allen diesen Künsten die eigentlich charakteri-
stischen Formen der Ausübung eine ganz bewusste Abweichung
von der Natur in sich schliessen, wie ist es dann, so wiederholen
wir, möglich, bei ihnen von Illusion zu sprechen? Das scheint in
der That ein Rätsel. Aber die Schwierigkeit löst sich sehr einfach,
sobald man sich klar macht, was überhaupt unter Illusion zu ver-
stehen ist. Wenn man darunter freilich ein Gefühl versteht, das
nur durch die möglichst genaue Übereinstimmun.g des Kunst-
werks mit der Natur erzeugt werden kann, so hat man diesen
Künsten gegenüber einen schweren Stand. Aber es wäre ja doch
auch möglich, dass die Illusion etwas anderes wäre, und dass uns
dieses Andere eben durch die Untersuchung dieser die Natur nicht
genau nachahmenden Künste besonders deutlich würde. Man
könnte doch auch annehmen, dass zum Zustandekommen der
Illusion nur eine mehr oder weniger grosse Annäherung an
die Natur nötig wäre, dass aber über den Grad dieser Annäherung
von vornherein gar nichts feststände.
Um sich darüber klar zu werden, müsste man sich z. B. ver-
gegenwärtigen, dass auch die nachahmenden Künste im engeren
Sinne die Natur keineswegs genau nachahmen, sondern die
Natur in bewusster Weise verändern müssen, wenn sie Illusion
erzeugen wollen. Und wenn man dies erst einmal erkannt hätte,
könnte man sehr wohl sagen, dass, da auch in den nicht-
nachahmenden Künsten wenigstens eine gewisse Annäherung an
die Natur vorausgesetzt wird, der Unterschied zwischen ihnen
und den nachahmenden Künsten schliesslich doch nicht so gross
wäre, wie er im ersten Augenblick erscheint. Man könnte zahl-
reiche Übergänge zwischen der genauen und der nicht genauen,
 
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