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in das Spiel hineingekommen, welchen Zweck erfüllt sie da und
welchen Nutzen bringt sie dem Individuum und der Gattung?
Wenn wir hier von einem Zweck der Kunst sprechen, so
setzen wir uns damit keineswegs in einen Gegensatz zu der Defini-
tion der Kunst als einer „von praktischen Interessen losgelösten“
Thätigkeit. Denn wir denken dabei natürlich nicht an einen dem
Künstler beim Schaffen und dem Geniessenden beim Genuss be-
wussten Zweck, sondern an ein höheres Ziel, eine biologische Auf-
gabe der Kunst. Dass Spiel und Kunst neben ihrem Lustwert für
das Individuum eine solche Aufgabe haben, ist selbstverständlich.
Thätigkeiten, die im Leben eine so grosse Rolle spielen, um die
sich in einem gewissen Lebensalter alle Interessen des Menschen
drehen, können nicht um der blossen individuellen Lust willen da
sein. Es wäre gewiss verkehrt, in ihnen nur ein leichtes Genuss-
mittel, eine zwecklose, tändelnde und überflüssige Thätigkeit zu
erblicken. Vielmehr wird es sich mit ihnen ebenso wie mit anderen
biologischen Funktionen des Organismus verhalten, die dem Indivi-
duum Lust gewähren, z. B. dem Essen und Trinken, dem Sich-
schützen gegen Kälte und Nässe, dem Baden, der Ruhe nach der
Arbeit, der Fortpflanzung u.s.w. Sie alle werden vom Einzelnen zu-
nächst um der Lust willen gesucht, die sie ihm bereiten, weiter denkt
er in den meisten Fällen nicht. Aber diese Lust ist, wie jeder-
mann weiss, nicht ihr letzter Zweck,, sie haben eine viel höhere
biologische Aufgabe. Sie sind dazu da, das Individuum am Leben
zu erhalten, zu kräftigen und fortzupflanzen. Und dadurch dienen
sie der Erhaltung der Gattung. Wer behaupten wollte, Kunst
und Illusionsspiel wären nur dazu da, dem Menschen den prickeln-
den Reiz der Illusion zu verschaffen, der würde ebenso an der Wahr-
heit vorbeischiessen wie derjenige, der behaupten wollte, das Essen
sei nur dazu da, den Gaumen und die Zunge zu reizen. Eine
Ästhetik, die dabei stehen bliebe, hätte sich von vornherein gerichtet.
Leider gehen nun aber die Ansichten über den Zweck des
Spiels auseinander. Zwar stehen wir heutzutage nicht mehr auf dem
Standpunkt jener älteren pedantischen und freudlosen Pädagogik,
die das Spiel als die Hauptgefahr der Erziehung ansah und es für
die wichtigste Aufgabe des Erziehers hielt, den Spieltrieb zu be-
kämpfen. Im Gegenteil unsere vernünftigen Pädagogen erkennen
den Wert des Spiels vollauf an, und dadurch ist es auch der Ästhetik
leichter gemacht, die Kunst mit ihm unter einen Gesichtspunkt zu
bringen. Aber über seinen eigentlichen Zweck herrscht doch auch
 
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