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Die Wanderung der Wahrheit durch die Länder Europa s.

Auf feinem goldenen Wol-
kenthrone saß der richtende Gott
der Weltgeschichte, in seiner
Rechten die Palme des Frie-
dens und Völkerglückes, in sei-
rier Linken den Blitz des Krie-
geS und der Revolution. Sein
großes Auge voll ewiger Klar-
heit ruhte ftaunend auf einer
leuchtenden Gestalt, die zerrisse-
nen Gewandes sich dem Rich-
terstuhle näherte und flehend die
Kniee des ewigen Gottes um-
schlang.

„Freiheit! meine jüngfle
und schönste Tochter, warum
kommst du in dieser gedemüthiz-
ten Gestalt zu mir und gegen
wen willst du Klage führen?"
fragte der ewige Vater.

„Jch komme," begann die
Freiheit, und Thränen leuch-
teten inihremAuge, „ich komme
von der Erde, die mich vertrieben hat; denn die Geifler der
Hölle sind mächtig geworden in dem alren Europa und ha-
ben die Kinder dcs Lichtes gezwungen auszuwandern. Die
Farie der De;potie hat mir die blühenden Wangen gebleicht
und hätte mich in Vandeu geschlagen, wenn sie es vermocht.
Darum hat sie meine theuersten Jünaer dem Gefängniß über-
antwortet, ich aber, dne ewige Göttin habe mein Gewand

zerrissen vor Schmerz und ich
flehe deinen Zorn und die
Blitze deiner Linken herab auf
die frevelhafte Erde."

„Beruhige dich, mein lieb-
stes Kind." sprach der Ewige,
„ich will richten, wenn zu rich-
ten ift. Aber ich kenne dein
Gemüth, o Freiheit! Leicht auf-
zuregen ist es und du hast
schon oft geirrt. Darum, ehe
ich mein Gericht einbrecheu lasse
über die Erde, will ich zuvör-
derst deine ältere und vorsich-
tigere Schwester, die Wahrheit,
absenden, und ist es, wie du
sagst, dann will ich richten und
dich herrlich wieder einsetzen
auf deinen lichten Thron."

So sprach er und sandte
die Wahrheit herab auf die
Erde, und gebot ihr, Menschen-
gestalt anzunehmen und zu erforschen alle Länder Europa's
von Osten bis Westen.

Dte Wahrheit ließ sich herab über Europa; sie berührte
mit leichtem Fuße die Cpitze des Kaukasus und sckritt da-
hin durch die weite Ebene Rußlands. Da fand sie eiuen
armen Bauer, der niit seimm letzten Stündlein rang, und
als der Bauer geflorben war, huschte die Göttin behend m

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