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Erschkinrn wöchentllch nnmal. — Man advnnirt det allcn Buch- M SS PreiS für cincn Band von 24 Nummcrn 3 fl. rh. odcr > Nldlr.

u. Kunsthandlungcn, allcn Postämtcrn u. ZeitungScrPeditionen.

Sgr. Einzelne Nummcrn lostcn 9 kr. rh. od. 3 Sgr.

Politifche Evangelien für alle Sonn- und Festtage des Jahres.

Am ersten Sonntag nach Trinitatis.


'V

S;


Es war ein reicher Mann, der
kleidcte sicb mit Purpur, Gold und
köstlicher Seide, und lebte jeden
Tag herrlich und in Freuden.

Es war aber auch ein Armer,
mit Namen Lazarus Proleta-
rier, der lag vor dcr Thüre des
Reichcn und war bedeckt mit Wun-
den, Schwären und Beulen.

, Er begehrte sich zu sättigcn mit
den Brosamen die von deö Neichen
Tische fielen; doch gab man sie
ihm nicht. Da kamcn mitleidige
Hunde und leckten des Armen
schwärende Wunden.

Nun begab es sich aber, daß der Arme gcnesie und
durch Arbcit zu Wohlstand gclangte. Der Neiche hingcgcn
ward durch seine Verschwendung und Völlerei in Armuth
gcstürzt.

Jctzt nahcte er der Thüre des Lazarus Proletarier
und sprach: „Lazarus crbarme dich mciner! Reiche mir
eincn Trunk Wasier nnd einen Bissen Brod, dcnn ich leide
die zweisache Höllenpein des Hungcrs und Durstcs.'

Lazarus Proletarier gab dcm Flchcnden reichlich
Trank und Spcisc, damit er sich stärke.

Tarüber vcrwunderte sich dcr chemals Neiche, und er
sprach mit Tbränen dcr Nührung in seinen Augen:

„Wic kommt cs doch, daß du mir nicht Schlcchtes mit
Schlechtem vergiltst. sondern dich meiner erbarmest. wcnn-


glcich ich vordem dich in Elcnd ver-
kommcn ließ?"

Lazarus Proletarier ant-
wortete: „Weil ich dir nicht glei-
chen will, vergelt ich dir nicht Glei-
ches mit Gleichkm.

„Mich lchrten die Hunde, daß
Mitleid schöner sei denn grausame
Sclbstsucht. Hunde hciltcn meine
Wunden, die mir von fühllosen
Menschen geschlagcn waren. Mein
Unglück entwaffncte reißende Thiere,
daß sic meiner sich erbarmten. Jn-
dem nun Thiere mich belehrten,
daß Natur nicht grausam sondern gut, daß die Welt nicht
ganz veraiant an mitfühlcnden Wesen sei, ward ich ausge-
söhnt mit dcr Natur, mit der Welt, und — weil die
Mcnschheit ein Theil dcr Natur, dcr Welt ist — bin ich
nun aucki vcrsöhnt mit der Mcnschheit."

Da erwachte in dcm chcmals Reichen der frühere Stolz,
daß cr antwonete: „Du willst besser sein als der Lazarus
in der Bibcl! dcnn ich finde nicht, daß der sich des dursti-
gen Neichcn in der Höllc erbarmt hätte. Jm Gegentheil!
Es stcht geschrieben, daß der Sprccher dcs Lazarus dcm
Ncichen antworicte: „Gedcnke, Sohn,, daß du dein Gutes
empfangen hast in deinem Leben und Lazarus dagegen hat
Böses empfangen; nun aber wird Er getröstet und Tu ge-
pcinigt. Weil Du nun anders handelst, handelst du nicht



christlich und folglich nicht gui."



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