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Ge<chsirev WairM. FO

Erscheinc» wöchentlich etnmal. — Man abonnirt bet allen Buch- FPreis für eincn Banb von 24 Nummcrn 3 fl. rh. obcr 1 Nthlr.

u. Kunsthanblungcn, allen Postämtcrn u- ZcttungSerpebitionen. - '21 Sgr. Etnzclne Numincrn kostcn 9 kr. rh od. 3 Sgr.

Politifche Evangelien für alle Sonn- und Festtage des Jahres.

Am fünfzehnten Svnntag nach Trinitatis.

Es begab sich, daß Michael kam in
das Haus eines Pbarisäers der Gesetzmä-
ßigkeit, der that als hielt er viel auf ihn.

Und siche, der Pharisäer litt an der
Wafsersucht deö octrohirten Constitutionalis-
mus, und fühlte sich deshalb krank.

Und Michacl sprach zu ihm: «3st es
auch rechi, daß du preisest, was dir selbst
nicht behagt, und für Gesundheit ausgibst
woran du tödtlich krank bist."

Der Pharisäer schwicg betroffen still.

Da griff ihn Michael mit Vernunftschlüs-
sen stärker an und zapfte ihm ab das Waffer
der Vorurtheile, des Aberglaubcns und der Herrendienerei.

Da fühlte stch der Pharisäer wohler, aber er ward so-
gleich übermüthig, indem er versetzte: „Da müßt' ich cin
Ochs und Esel sein, wenn ich nicht selbst schon früher cr-
kannt hätte, daß all dcr octroyirte Bettcl nichts ist als Un-
stnn, Willkür und Sklaverei. Wie sehr ich von der Noth-
wendigkeit einer Reform, einer vollständigen Verjüngung dcs
Staats und mithin auch des Einzellebens überzeugt bin, das

will ick beweisen, wcnn's einmal wicder
losgeht, da wcrdet Jhr mich an der Spitze
des Volkes sehen."

Da Michael seine Anmaffung und
Prahlerei sah, erwiedertc er ihm mit fol-
gendem Gleichniß:

„Wenn sich das Volk dereinst mit der
Freiheit vermählt, so dränge dich nicht obcn
an zu einem Platz, der vielleicht einem Ehr-
licheren als dir bcstimmt ist.

„Dcnn so Dic kämcn, welche dick nnr
duldetcn und sprächen zu dir: „„Weiche
Diesem!"" so müßteft du mit Scham

zurücktreten.

„Wenn man jedoch deine Dienstc verlangen sollte, so
handle zum allgemeincn Bestcn, ehrlich und ohne alle
Prahlerei, damit man dich liebe und durch diese Liebe ehre.

„Denn wer sich sclbst erhöhet, der so.ll er-
niedrigt werden, und wer sich selbst ernie-
drigt, bescheideu das Gute wirkt, der soll er-
höhet werden."
 
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