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Wunderseltsame Abenteuer des Polizeiactuarius Strampel.

Jn einem uiibeachteten Winket
des grofien Reiches Pieußen liegt
ein kleines Städtchen, das den ko-
mischen Namen Bockswalde führt.

Das Lebcn in allen dergleichen
Kleinstadten ist so übereinstim-
mend, daß man alle kennt, wenn
man nur kurze Zeit in einer
gclcbt hat. Die Entwicklung des
gescllschaftlichen und politischcn
Lcbens ist die grösite Ncbeusache
der Bcwohner, wclche sich nach
den Bi'ühen dcs Tagcs stets in
dem Wirthshause am stcreotypen
Tische der Stammgäste dcr spär-
lichen Untcrhaltung und Beleh-
rung wegcn um einen oder einige
Koriphäen schaarcn.

Der Wortnihrer Bockswaldes
war der Polizeiaciuar Strampel,
ein studirter Manu, wie ihn die Bockswalder naunteii. und
wie cr sich gar zu geru nenneii hörte. Tie geistige Macht,
welchc er über die Bockswalder Stammgäste ausübte, stand
im großen Widerspruch mit Strampels Persönlichkeit. Er
waroon Gestalt gekrümmt uud mager, uud aus seincn Micuen
hatte sich uach und nach jener lauerndc, misitrauische Zug
beiouders ausgeprägt, der uus die Angehörigen derPolizei,
vorzüglich aber die Subalternen derselbeu, selbst in Civil-
kleidern und auf Civilwcgen bci einiger Aiismerksamkeit leicht
erkenncn läßt.

Seit lü Jahren schon bekleidete Strampel den lang-
weiligcn Posten eines Polizeiactuarius zu Bocksivalde, aber
jetzt machte cr sick> Hoffnuug, bald einen grösiern Wirkungs-
kreis und eine bessere Stelle zu erbalieu. Vor Kurzcm
hatte cr nämlick cin Suplikat um Besörderung an den Hcrrn
Minister gesandt, welcken er sich scl on frühcr eiuige Malc
durch cinige „nülzlicge FlNgcrzeige" (so uennt nian in
einer gewisse» Sprache Denunziationen und Angebereicn!)
geneigt gcmacbt zu baben glaubte. Abcr auch iu polizei-
literarischer Hinsicht war er im Geheimen wirksam gewesen,
denn fest überzeugt vou der W e i tl ä u si g k e i t unserer
Polizeigesetzbücbcr, arbeilete er mit unendlicher Mühe seit
zwöls Jahren an einem „sturANefastten P o l i z e i g e se tz-
b u cke" und war vor ciniger Zcit mit diesem Meisterwerke
zu Ende gekommeu Alleiu wie crstaunic cr, als er bei
Verglcickuug seines „kurzgesasitcu" Werkes mir dem bestc-
henden faud, dasi seincs noch zicmlich 2000 Paragraphen
mehr cnlhielt, als das alte! Trotz allen Nevisionen konute
er jedoch nicht finden, dasi iu seinem Werke auch nur eine
Sylbe zuviel sei, und so ändcrte er nur, nicht ohne cinige
tiefe Seufzcr aus dic Verderbthcit dcr Sitten, die diesen Zu-
wachs hervorgerufen hatte, den Titel, und setzte statt „kurz-
gefaßtcs" — verbessertes u-n d erweitertes Po-
I i z e i g e s e tz b u ch."

Von Tag zu Tag hoffte er aus den günstigen Bescheid,


der ihm vom Ministerium auf scin
Gesuck werdcn sollte, da, o — un-
crhörter Schreck! — brach in der
Nesideni, als Nachhall zu der fran-
zösischcn Revolution im Frühling
1848 cine graucnvolle Rebellion
aus, das alte Ministerium ward
gestürzt und mit diesem Stram-
pel's einzige Hoffnung vcrnichtet.

Dieser Schlag war zu groß für
Strampcl's kleines Gcmüth; ein
gefährlichcs Gallenfieber warf ihn
auf ein langwierigcs Krankenla-
ger, und als endlich die kaum ge-
hoffte Gencsung slch kund gab, war
nach dem Nathe des Arztes der
Gebrauch einerHeilguelle die noth-
wcndige Bedingung zu seiuer voll-
ständigen Wiederhcrstellung.

Strampcl hatte Urlaub erhaltcn
und reiste nach dem Badeorte V. ab, nachdem er sich vorher
das feierlichc Vcrsprechen gegcbcu haite, nicht das Geringstc
mehr von dieser schändlicken Politik des Umsturzes, seiucr
Todseindin, lesen, sprechen uud hören zu wollen. Sein Klci-
nod, das Manuscript dcs Polizeigcsetzbuches, musitc ihn als
Trost begleiten in das liebliche Bad, wo cr von einer wunder-
herrlichen Natur frcundlich empfangen wurde. Stranipcl be-
gann schon bci seincr Ankunft wieder aufzulcben, doch sollte
cr auch bald seiner Todfeindin wiedcr begegnen.

Die ersten Nachrichten von der Pariser Junirevoluliou
durck'flogen Deutschland, und sandcn sich auch bald bis in
uiiscrn Badeort. Alles fragte sich beim Bcgegneu: „Habcn
Sie schon das Neueste aus Paris gehört" — und nun wur-
dcn die Neuigkeiten mit tauscnd Zusätzen erzählt. — Auch
Strampel war zu seinem grosien Entsetzen seit seiner kurzen
Ankunft im Gasthause schon einige Male mit diescr Frage
angcredet und dadurck in nicht geringe Wuth gesetzt worden.
Sogar der alte Badcwärter hatte dicse Frage geihan, als
Strampcl heute früh das crste Bad nchineu wollte; doch
hatte dies deu reizbaren Polizeiactmrius so schrccklich in
Wuth gesetzt. dasi er, ohne zu baden, zum nicht geringen
Erstaunen des Badewärters, wiedcr fluchend sortstürzte.

Stranipel raiinte spornstreichs nach scincm Gasthaus,
wo er fick bald auf seinem Zimmer einschlosi und in seiner
blinden Politikscheu schwor, heute nicht mehr scine Woh-
nuiig zu verlassen. Er war jedoch zu schwach, um seincn
Schwur länger als ein paar Stunden zu halten; dcnn die
Julisoune vcrbreitete eine drückcndc Hitze, die in scincm
Zimmer doppclt fühlbar wurde. Wie seufzte er da zurück
nach seincr dunklcn, eiscnvergitterteu Polizei-Erpedition in
Bockswalde, iu welchcr stets eiue erfrischeude Kühle herrschte.
Endlich entschlosi er sich, Trost für sein arnics Gemüth in
der schöneu Natur zu suchcn.

Strampel nahm sein gcliebtes Manuscrivt der „erwei-
terten Polizeigesctze" unter den Arm und die Furcht vor ci-
 
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