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Einleitung.
durch einen zweiten tischartig überdecken, oder eine Anzahl von Blöcken in
einfachem oder doppeltem Kreise aufschichten, oder noch andere Formen für
die Bezeichnung der Cultstätte ersinnen, wie deren der keltische Norden
manche zeigt: die Bau-Kunst hat an ihnen eben so wenig Tlieil, wie an
jenen primitivsten Grabdenkmälern.
ideale Dennoch ist nicht zu verkennen, dass Werke dieser Art dem Wesen der
Kunst bereits um eine Stufe näher treten, als jene Schöpfungen alltäglichen
Bedürfnisses. Zwar dienen auch sie dem betreffenden Zwecke in bloss äusser-
liclier Weise; aber indem dieser Zweck sich mit höheren, geistigeren Vor-
stellungen verbindet, mehr in der Idee als in der Nothdurft des Lebens wurzelt,
heben die Erzeugnisse desselben sich aus jener niederen Sphäre empor und
lassen bereits des Volkes Wesen und Richtung, wenngleich noch mit rohen,
mehr andeutenden als klar bezeichnenden Zügen, im architektonischen Bilde
schauen.
Der Tempel Da wir also auf den bisher erwähnten Stufen baulicher Thätigkeit die
die erste
Kunstform. Kunst noch nicht entdecken konnten, so werden wir in der Entwicklungs-
geschichte des Menschengeschlechts uns nach anderen Momenten umzusehen
haben, um den Ausgangspunkt für unsere Betrachtung zu gewinnen. Da tritt
uns denn, als erste entschiedene Kundgebung der Baukunst als solcher, der
Tempel entgegen. In ihm findet zunächst das religiöse Bewusstsein eines
Volkes seinen vollgültigen Ausdruck. Aber damit ist es noch nicht genug,
sonst hätten Avir auch in jenen unförmlichen Opferaltären Werke der Kunst
erblicken müssen. Es muss vielmehr in einem Volke der Sinn für Harmonie,
Ebenmaass und künstlerische Einheit schon so geweckt sein, dass es seine
höchsten Ideen nur in solchen Werken ausspricht, die jene Eigenschaften oder
doch ein lebendiges Streben darnach in sich tragen. Dies wird aber nur da
der Fall sein, avo die Beziehung zum göttlichen Wesen sich bereits in be-
stimmten Anschauungen ausgeprägt hat und für die Ordnung der gesellschaft-
lichen Verhältnisse entscheidend geworden ist. Einem Volke auf solcher
Entwicklungsstufe kommt es nicht bloss darauf an, seine Cultstätten in will-
kiirlicher Weise auszuzeichnen, sondern es genügt sich nur dann, wenn es in
dem Bauwerke durch Maass, Verhältniss derTheile, innere Einheit des Ganzen
eine Andeutung jener höheren Weltordnung gewonnen hat, welche ihm in
dunkler Ahnung oder in klarer Erkenntniss vorschwebt. Erst da erhebt sich
also die bauliche Thätigkeit zur Kunst, wo neben der Erfüllung eines prakti-
schen Zweckes — und zAvar zunächst des höchsten: eine Stelle für die Gottes-
verehrung zu schaffen — das Werk der Menschenhand auch noch einen idealen
Gehalt birgt, wo es das Schöne zur Erscheinung bringt.
Einleitung.
durch einen zweiten tischartig überdecken, oder eine Anzahl von Blöcken in
einfachem oder doppeltem Kreise aufschichten, oder noch andere Formen für
die Bezeichnung der Cultstätte ersinnen, wie deren der keltische Norden
manche zeigt: die Bau-Kunst hat an ihnen eben so wenig Tlieil, wie an
jenen primitivsten Grabdenkmälern.
ideale Dennoch ist nicht zu verkennen, dass Werke dieser Art dem Wesen der
Kunst bereits um eine Stufe näher treten, als jene Schöpfungen alltäglichen
Bedürfnisses. Zwar dienen auch sie dem betreffenden Zwecke in bloss äusser-
liclier Weise; aber indem dieser Zweck sich mit höheren, geistigeren Vor-
stellungen verbindet, mehr in der Idee als in der Nothdurft des Lebens wurzelt,
heben die Erzeugnisse desselben sich aus jener niederen Sphäre empor und
lassen bereits des Volkes Wesen und Richtung, wenngleich noch mit rohen,
mehr andeutenden als klar bezeichnenden Zügen, im architektonischen Bilde
schauen.
Der Tempel Da wir also auf den bisher erwähnten Stufen baulicher Thätigkeit die
die erste
Kunstform. Kunst noch nicht entdecken konnten, so werden wir in der Entwicklungs-
geschichte des Menschengeschlechts uns nach anderen Momenten umzusehen
haben, um den Ausgangspunkt für unsere Betrachtung zu gewinnen. Da tritt
uns denn, als erste entschiedene Kundgebung der Baukunst als solcher, der
Tempel entgegen. In ihm findet zunächst das religiöse Bewusstsein eines
Volkes seinen vollgültigen Ausdruck. Aber damit ist es noch nicht genug,
sonst hätten Avir auch in jenen unförmlichen Opferaltären Werke der Kunst
erblicken müssen. Es muss vielmehr in einem Volke der Sinn für Harmonie,
Ebenmaass und künstlerische Einheit schon so geweckt sein, dass es seine
höchsten Ideen nur in solchen Werken ausspricht, die jene Eigenschaften oder
doch ein lebendiges Streben darnach in sich tragen. Dies wird aber nur da
der Fall sein, avo die Beziehung zum göttlichen Wesen sich bereits in be-
stimmten Anschauungen ausgeprägt hat und für die Ordnung der gesellschaft-
lichen Verhältnisse entscheidend geworden ist. Einem Volke auf solcher
Entwicklungsstufe kommt es nicht bloss darauf an, seine Cultstätten in will-
kiirlicher Weise auszuzeichnen, sondern es genügt sich nur dann, wenn es in
dem Bauwerke durch Maass, Verhältniss derTheile, innere Einheit des Ganzen
eine Andeutung jener höheren Weltordnung gewonnen hat, welche ihm in
dunkler Ahnung oder in klarer Erkenntniss vorschwebt. Erst da erhebt sich
also die bauliche Thätigkeit zur Kunst, wo neben der Erfüllung eines prakti-
schen Zweckes — und zAvar zunächst des höchsten: eine Stelle für die Gottes-
verehrung zu schaffen — das Werk der Menschenhand auch noch einen idealen
Gehalt birgt, wo es das Schöne zur Erscheinung bringt.