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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0071

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Anhang. Sassanidische Baukunst.

49

Kein Wunder, dass die Epigonen von diesen verschiedenartigen Elementen
Einflüsse erlitten, die sich in ihren architektonischen Leistungen unverkennbar
spiegeln. Aber um so beachtenswerther drängt sich die Thatsaclie auf, dass
die Neuperser ZAvar ähnlich ihren Vorfahren einen eklektischen Hang ver-
ratlien, dass sie aber gleich jenen noch immer die Kraft besitzen, aus entlehn-
ten Motiven eine eigenthümliche Architektur zu gestalten.

Die wichtigsten Schöpfungen derselben bestehen in den Palästen der Paläste.
Herrscher. Ihre Anlage fusst auf althergebrachten einheimischen Grundzügen:
es sind grosse rechtwinklige Massen, die sich um einen freien Hof gruppiren.

Aber in der Gliederung und Anordnung des Ganzen und mehr noch in der
Ueberdeckung der Räume tritt ein neues Prinzip hervor, dessen Ursprung aus
den Bauten der Römer und wohl auch der Byzantiner abzuleisten ist. Die
Räume werden durchgängig mit starken Gewölben bedeckt, und zwar aus-
schliesslich mit Tonnen und Kuppeln. Aber nur ausnahmsweise zeigen diese
den Halbkreisbogen der klassischen Architektur; vielmehr wird der Bogen in
seinem Scheitel fast immer überhöht, so dass er eine elliptische Form annimmt.

Selbst der Spitzbogen, und in einzelnen Fällen der Hufeisenbogen findet An-
wendung. An mächtigen Portalhallen treten diese Formen oft in so gewaltiger
Spannung und Höhe hervor, dass sie den Eindruck eines kühnen ritterlichen
Wesens und schlanken Emporstrebens machen. Ohne Zweifel liegen hier die
Keime zu manchen spezifisch orientalischen Formen, die erst im Islam ihre
volle Blütlie erfahren sollten. Bei der Flachenbehandlung der Aussenmauern
spielt ein missverstandenes System römischer Wandgliederung die Hauptrolle:
Blendnischen von verschiedenen Bogenformen werden in mehreren Geschossen
über einander angebracht und von grösseren Halbsäulenstellungen umrahmt.

Diese etwas monotone Dekoration hat ebenfalls auf die Flächengliederung des
maurischen Styles allem Anscheine nach eingewirkt. Wo endlich einzelne
Nischen oder Portale geschmückt werden sollen, tritt die antike Pilastergliede-
rung ein, aber umrahmt von einem altpersischen Thürgestell mit dreifacher
Architravabstufung und bekrönt von dem Kranzgesims mit blattgeschmückter
Hohlkehle, wie es schon die alten Grabfacaden von Pasargadae zeigen. Im
Ueblägen sucht eine reiche plastische Ausstattung, ebenfalls im Sinn und Styl
der altpersischen Monumente, den etwas nüchternen Charakter dieser stattlichen
Denkmäler zu modifiziren.

Die einzelnen Bauwerke, so weit sie bis jetzt untersucht wurden, lassen Denkmäler,
allem Anscheine nach mehrere Entwicklungsstufen erkennen, die, anfangs mehr
an das System der klassischen Architektur gebunden, allmälich zu freierer
Selbständigkeit vorschreiten. Doch muss es, bei noch mangelhaftem Stande
der Kenntniss dieses Gebietes, dahingestellt bleiben, ob nicht gewisse Ein-
flüsse in späterer Zeit von der byzantinischen Kunst geübt worden sind.
Ueberwiegend römische Reminiszenzen herrschen noch an dem Palast von
Al Hathr, etwa dreissig englische Meilen vom Tigris, westlich von Kalali Aiiiathr.
Schergat gelegen. Die Ruinen der Stadt bedecken einen grossen Kreis von
einer englischen Meile im Durchmesser. Innerhalb desselben befindet sich ein
ungefähr 700 zu 800 F. messender befestigter Palast, der zwei Höfe um-
schliesst. Der innere Hof enthält ein Gebäude, welches aus einer Reihe
abwechselnd schmalerer und breiterer, mit Tonnengewölben im Halbkreis
bedeckter Räume besteht, Ihr Licht erhalten dieselben einzig aus dem Ein-
gangsbogen. Diese Portale, durch Halb Säulen von einander getrennt, erinnern
an die Anlage römischer Triumphbögen, da stets ein grösserer und höherer

Liibke, Geschichte d. Architektur. 4
 
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