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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0119

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Erstes Kapitel. Griechische Baukunst.

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zu einseitig beschränkt, als dass sie in ihren Werken maassgebend für andere
Völker, für künftige Culturepochen hätten sein können. Erst bei den Griechen
war dies eben wegen ihrer harmonischen Anlage, ihrer allseitigen, echt mensch-
lichen Bildung der Fall. Desswegen trägt bei aller Gemeingültigkeit die grie-
chische Architektur doch am meisten das Siegel freier Individualität an der
Stirn; desswegen hat sie auch zuerst eine eigentliche innere Geschichte. Zwar
erscheint gegen jene nach Jahrtausenden zählenden Culturen der älteren Völker
die Zeit des Griechenthums äusserst kurz. Aber sie durchläuft auf engem
Raume einen weiten Kreis von Entwicklungsstufen und bezeugt die Wahrheit,
dass der Werth des Daseins nicht nach der Länge der Zeitdauer, sondern nach
der Tiefe des schöpferisch lebendigen Inhalts gemessen werden muss.

Wir haben nun, um zur Betrachtung der griechischen Kunst zu gelangen,
die Nebel einer Vorzeit zu durchlaufen, deren Denkmäler zu den eigentlich Vorzeit
griechischen Schöpfungen sich ungefähr so verhalten, wie jene als Vorstufen dej<=[iisetcl1'
bezeichneten asiatischen und ägyptischen Werke. In dem ganzen Länderbe-
reiche, welcher nachmals durch die hellenische Cultur berührt wurde, auf dem
Boden der eigentlichen Hellas, an den Küsten Kleinasiens wie auf den zwi-
schenliegenden Inseln und selbst auf italischem Gebiete, finden wir Denk-
mäler einer urthümlichen Bauweise, welche auf eine in vorgeschichtlicher Zeit
gemeinsame Culturentfaltung in diesen Ländern des Mittelmeeres hindeuten.

Diese gewaltigen Werke, deren Compositionsweise und Formgefühl von dem
des späteren historischen Hellenenthums so weit abweicht, werden auf das
Urvolk der Pelasger zurückgeführt. Man hat unter diesem Namen die Ge- Peiasger.
sammtbezeichnung für jene Völkerstämme zu verstehen, welche, durch gemein-
same Abstammung verbunden, aus ihren Sitzen im Inneren Asiens hervor-
gingen und sich in langsamem Zuge über die das Becken des Mittelmeeres
umgürtenden Länder ergossen. Noch in den Schilderungen Homerischer Poesie
lassen sich die Nachklänge jener alten Culturzustände erkennen, und manche
deutliche Spuren darin weisen auf eine Verwandtschaft mit der Kunst Vorder-
asiens hin. Es ist mit einem Worte die Epoche, in welcher die Vorväter der
Hellenen gleich allen übrigen Küstenvölkern des Mittelmeeres durchaus dem
Einfluss der altorientalischen Cultur unterworfen sind, die vornehmlich durch
die Phönizier ihnen zugetragen wurde.

Ohne der öfter bei Homer erwähnten Grabhügel gefallener Helden aus-Zyklopische
führlicher zu gedenken, die uns die primitive Form des Tumulus vorführen, sei
hier an die Reste uralter Städtemauern erinnert, welche bei den Griechen selbst
Verwunderung erregten, und wegen ihres fremdartigen Ansehens den Namen
kyklopische Mauern (Fig.60u.61) erhielten*). Das Wesentliche dieser Reste,
deren man zu Argos, Mykenae, Tiryns und in Kleinasien zu Knidos,

Patara, Assos und an anderen Orten antrifft, besteht darin, dass anstatt
eines Quaderbaues eine gleichsam primitivere Behandlung des Steines statt-
findet. Die grossen Blöcke werden in unregelmässiger Gestalt, wie der Stein-
bruch sie liefert, scharf ausgearbeitet und so zusammengesetzt, dass die Fugen
überall in einander greifen und das Mauerwerk dadurch ohne Anwendung von
Mörtel die grösste Festigkeit erlangt. Damit wechseln jedoch mehrfach Mauern,
die sich mehr dem eigentlichen Quaderbau anschliessen, obwohl eine regel-
mässige horizontale Schichtenlage in ihnen noch nicht durchgeführt ist. Ob
diese Bauweise jünger als jene, oder ob beide gleich alt sind, lässt sich mit

*) W. Gell, Probestücke von Städtemauern des alten Griechenlands. München 1831. — J Gailhabaud.

Denkmäler der Baukunst. Bd. I. Hamburg 1842.

Liibke, Geschichte d. Architektur.

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