Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Janssen, Walter
Issendorf: ein Urnenfriedhof der späten Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit (Heft 6, Teil 1): Issendorf: ein Urnenfriedhof der späten Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit — Hildesheim: Lax, 1972

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.63213#0066
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4.2. Beobachtungen zur Lage des Leichenbrandes und der Beigaben in den Urnen
In vielen älteren Veröffentlichungen über kaiserzeitliche Urnenfriedhöfe hat man sich
kaum der Mühe unterzogen, die Lage des Leichenbrandes und der Beigaben innerhalb
einer Urne näher zu beobachten. Es schien von vornherein festzustehen, daß beides nach
Beendigung der Verbrennung des Toten von den Hinterbliebenen zusammengelesen und
ohne besondere Ordnung in die Urne gegeben worden sei. Um nicht von vornherein die
Möglichkeit für eine Überprüfung dieser Annahme zu verstellen, wurde beim Leeren der
Urnen sehr sorgfältig vorgegangen. Zunächst einmal durfte der Urneninhalt auf gar keinen
Fall ausgeleert werden. Vielmehr wurde er mit Hilfe weicher Pinsel sehr vorsichtig ab-
schnittsweise freigelegt. Notizen über die bei diesem langsamen Leerungsprozeß gemach-
ten Beobachtungen schlugen sich in den sogenannten Leerungsprotokollen nieder, die am
Schluß dieser Untersuchung auswahlweise beigegeben sind. Ziel des langsamen Leerungs-
verfahrens war es, Struktur und Lage des Leichenbrandes sowie der Beigaben innerhalb
der Urnen näher zu beobachten.
Daß die Menge des in einer Urne vorhandenen Leichenbrandes sehr schwanken kann,
ist eine bekannte Tatsache. Vereinzelt kommen sogar Urnen vor, die überhaupt keinen
Leichenbrand enthalten, wie beispielsweise Grab 23. Hier stellt sich die Frage, was mit
einem leer beigesetzten Gefäß überhaupt bezweckt werden sollte. Eine ganze Reihe von
Issendorfer Gräbern zeichnet sich auch durch extrem wenig Leichenbrand aus. In den Grä-
bern 4, 54, 65, 120, 247 und 278 fanden sich jeweils nur einige wenige Splitter Leichen-
brandes. Er war in diesen Fällen auch von sehr feiner Struktur; die einzelnen Bruchstücke
überschritten nur selten die Größe von 5 mm2. Handelt es sich dabei um den noch vorhan-
denen minimalen Rest eines Toten, der ungewöhnlich stark verbrannt worden war oder
haben wir hier nur einen Bruchteil des eigentlichen Leichenbrandes vor uns? Sollte gar
eine Tierbestattung vorliegen? Diese Fragen dürften sich nur durch eine sehr genaue an-
thropologische Analyse der Leichenbrände angehen lassen.
Die sorgfältige Leerung der Urnen ließ aber auch verschiedene Verteilungstypen des
Leichenbrandes innerhalb der Urnen offenbar werden. Die weitaus größte Zahl von Urnen
enthielt, vom Rand gerechnet, in den oberen 4 bis 8 cm lediglich tauben Sand ohne die ge-
ringsten Beimischungen von Leichenbrand. Erst darunter begann dann der Leichenbrand,
und zwar verriet sich beim Leeren sein baldiges Beginnen an einer auffälligen Grau- oder
Schwarzfärbung des Sandes, die nach oben hin meist durch eine scharfe Grenze markiert
war. Auf jeden Fall liegen hier also zwei aufeinanderfolgende, aber verschiedene Ab-
schnitte der Verfüllung der Urne vor: Zu unterst sammelte man den Leichenbrand ein, der
die Urne sehr oft nur zur Hälfte oder zu knapp zwei Dritteln zu füllen vermochte. Dann
wurde die Urne bis zum Rand mit taubem Sand angefüllt. Wenn die beigesetzten Urnen
auf dem Urnenfriedhof nach oben hin durch Markierungen bezeichnet waren, so mag die
obere taube Sandfüllung der Urne vielleicht dazu gedient haben, einen Stock in die Urne
zu stecken und so ihren Standort zu bezeichnen. Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Issen-
dorfer Urnen zeigt hingegen eine andere Art der Füllung: Bei den Gräbern 17,58,76,85,128,
129, 210, 249, 252, 275, 281, 283 begann die Füllung mit Leichenbrand bereits in Randhöhe.
Es ließ sich beobachten, daß sich die Art der Urnenfüllung nach unten zu auch kaum än-
derte. Begann sie oben mit kompakt liegendem Leichenbrand, so setzte sich dieser bis zum
Boden fort. Meist aber fand sich in diesen Urnen eine Füllung aus Sand, die mit Leichen-
brand in loser Streuung versetzt war. Auch sie änderte ihren Charakter bis zum Boden
eigentlich nicht. Wir dürfen daraus folgern, daß diese Urnenfüllungen auf einmal einge-
bracht worden waren. Nirgends wurden saubere Trennlinien, die auf Verfüllen in mehre-
ren Abschnitten hätten deuten können, beobachtet. Wenn die Urnen mit einer Leichen-
brand enthaltenden Füllung bis zum Rand versehen waren, so bedeutet das, daß aus der

44
 
Annotationen