der dieses Denken entsprungen ist, von höchstem Belang.“ . . . „Aber das, was
wir heute noch als Bildungsgut der Antike lehren, ist großenteils toter Ballast.
Die wahren Humanisten (gemeint: ,heute‘) stehen vor der Frage, wie unser
antikes Fundament mit dem technisch-wissenschaftlichen Zeitalter in ein
echtes Gespräch zu bringen ist. Das dekorative Gespräch mit der Bildungs-
antike hat seinen Sinn verloren. Wie sonst könnten wir unserer Jugend so viel
antikes Wissen, so viel antike Bildung zumuten, wenn wir nicht den antiken
Kern in unserer Gegenwart neu, lebendig, ungebrochen erfahren — worauf,
nebenbei gesagt, die Arbeit all unserer großen Altphilologen hinausläuft: sie
stehen der Aufgabe keineswegs fern. Doch die öffentlichkeit rechnet noch
immer mit dem Altphilologen der wilhelminischen Epoche.“ . . . „Es ist nie und
nirgends gesagt, daß der Mensch sein Verhältnis zur Welt wissenschaftlich-
technisch bestimmen mußte. Daß es so ist, danken wir der „Entdeckung des
Geistes“ in der antiken Welt.“ . . . „Der Anfang im Kleinasien des Heraklit
und Anaximander ist heute so gegenwärtig wie vor mehr als zweitausend
Jahren.“ . . . „Die Stifter des Abendlandes sind die griechischen Denker. . . .
Wenn wir aber ohne diese Denker weder moderne Wissenschaft noch Technik
auf der Welt hätten, sind wir unausweichlich an diesen geschichtlichen Anfang
gebunden.“ . . . „Müßte aus diesem Wissen nicht das Erziehungsprogramm, die
Pflege der Überlieferung erneuert werden?“
Die Antworten und Gegenstimmen
Die überraschende Fülle der teils von Vietta erbetenen, teils frei sich melden-
den Stimmen zeigt, welch breites Echo seine prononcierte Frage gefunden hat.
Da steht das Wort Heideggers („Ich bin immer wieder erfreut, wenn An-
regungen von mir in so ausgezeichneter Weise selbständig durchdacht und zur
Darstellung gebracht werden, wie es der Artikel von Vietta zeigt“) neben dem
eines jungen Fabrikarbeiters („Um die Antike geschichtlich zu verstehen, ge-
nügt es wirklich, wenn die wichtigsten Tragödien, Fabeln und sonstige Schriften
in moderner Übersetzung gelesen werden.“)
Vietta bringt zunächst einige superkritische, skeptische, nur selten literarisch
aufgeputzte Äußerungen der „jungen Generation“:
„Wolfgang Schadewaldt, der unprofessorale Tübinger Professor und mo-
dernste Übersetzer des Sophokles, hat die Aufftihrungspraxis antiker Tragö-
dien von Goethe bis Max Reinhardt mit sehr viel Scharfsinn untersucht und
ist zum Ergebnis gekommen, daß alle diese Interpretationen . . . in der jeweili-
gen Zeitperspektive befangen und untragisch sind. Danach hätte der Applaus
mehr als hundert Jahre lang lauter Mißverständnissen gegolten.“ . . . „Unsere
heutige Bühne aber ist . . . keine Kultstätte mehr, sondern eben „bloßes Thea-
ter“.“ . . . Also: „Feierlichkeit statt Religion; Gebärden ohne die seelische Kraft,
die sie erzwingt - genau da liegt das unlösbare Problem.“ Freilich: „Ob mit
oder ohne Maske, ob mit oder ohne Segen der Wissenschaft - der schuldlose
Jammer des Oedipus, das Seelendrama der Elektra und der Zusammenprall
23
wir heute noch als Bildungsgut der Antike lehren, ist großenteils toter Ballast.
Die wahren Humanisten (gemeint: ,heute‘) stehen vor der Frage, wie unser
antikes Fundament mit dem technisch-wissenschaftlichen Zeitalter in ein
echtes Gespräch zu bringen ist. Das dekorative Gespräch mit der Bildungs-
antike hat seinen Sinn verloren. Wie sonst könnten wir unserer Jugend so viel
antikes Wissen, so viel antike Bildung zumuten, wenn wir nicht den antiken
Kern in unserer Gegenwart neu, lebendig, ungebrochen erfahren — worauf,
nebenbei gesagt, die Arbeit all unserer großen Altphilologen hinausläuft: sie
stehen der Aufgabe keineswegs fern. Doch die öffentlichkeit rechnet noch
immer mit dem Altphilologen der wilhelminischen Epoche.“ . . . „Es ist nie und
nirgends gesagt, daß der Mensch sein Verhältnis zur Welt wissenschaftlich-
technisch bestimmen mußte. Daß es so ist, danken wir der „Entdeckung des
Geistes“ in der antiken Welt.“ . . . „Der Anfang im Kleinasien des Heraklit
und Anaximander ist heute so gegenwärtig wie vor mehr als zweitausend
Jahren.“ . . . „Die Stifter des Abendlandes sind die griechischen Denker. . . .
Wenn wir aber ohne diese Denker weder moderne Wissenschaft noch Technik
auf der Welt hätten, sind wir unausweichlich an diesen geschichtlichen Anfang
gebunden.“ . . . „Müßte aus diesem Wissen nicht das Erziehungsprogramm, die
Pflege der Überlieferung erneuert werden?“
Die Antworten und Gegenstimmen
Die überraschende Fülle der teils von Vietta erbetenen, teils frei sich melden-
den Stimmen zeigt, welch breites Echo seine prononcierte Frage gefunden hat.
Da steht das Wort Heideggers („Ich bin immer wieder erfreut, wenn An-
regungen von mir in so ausgezeichneter Weise selbständig durchdacht und zur
Darstellung gebracht werden, wie es der Artikel von Vietta zeigt“) neben dem
eines jungen Fabrikarbeiters („Um die Antike geschichtlich zu verstehen, ge-
nügt es wirklich, wenn die wichtigsten Tragödien, Fabeln und sonstige Schriften
in moderner Übersetzung gelesen werden.“)
Vietta bringt zunächst einige superkritische, skeptische, nur selten literarisch
aufgeputzte Äußerungen der „jungen Generation“:
„Wolfgang Schadewaldt, der unprofessorale Tübinger Professor und mo-
dernste Übersetzer des Sophokles, hat die Aufftihrungspraxis antiker Tragö-
dien von Goethe bis Max Reinhardt mit sehr viel Scharfsinn untersucht und
ist zum Ergebnis gekommen, daß alle diese Interpretationen . . . in der jeweili-
gen Zeitperspektive befangen und untragisch sind. Danach hätte der Applaus
mehr als hundert Jahre lang lauter Mißverständnissen gegolten.“ . . . „Unsere
heutige Bühne aber ist . . . keine Kultstätte mehr, sondern eben „bloßes Thea-
ter“.“ . . . Also: „Feierlichkeit statt Religion; Gebärden ohne die seelische Kraft,
die sie erzwingt - genau da liegt das unlösbare Problem.“ Freilich: „Ob mit
oder ohne Maske, ob mit oder ohne Segen der Wissenschaft - der schuldlose
Jammer des Oedipus, das Seelendrama der Elektra und der Zusammenprall
23