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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 2.1959

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Nr. 2
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Richter, Will: Geschichtliches und Grundsätzliches zum hessischen Elternrechtsprozess
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https://doi.org/10.11588/diglit.32957#0018
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(Abs. 4) und der Erziehung zur Achtung vor der geschichtlichen Wahrheit und
der demokratischen Grundordnung (Abs. 5).

Das eingangs genannte Datum ist insofern auffallend, als dieser erste Rechts-
entscheid, der aufgrund des Artikels 56/6 H. V. in die hessische Schulver-
waltung eingreift, zugleich der erste ist, der diesen Teil der hessischen Ver-
fassung überhaupt als justiziabel erklärt und ihm praktische Wirksamkeit ver-
leiht. Dabei liegen zwischen diesem Zeitpunkt und der Annahme der Ver-
fassung durch Volksentscheid (1. 12. 1946) mehr als elf Jahre!

Gerade die rechtliche Anwendbarkeit des Absatzes 6 war von der hessischen
Landesregierung als Prozeßgegner bestritten worden; man berief sich dabei
auf den nachfolgenden Satz in Abs. 7: „Das Nähere regelt das Gesetz“ und auf
die Tatsache, daß ein solches Gesetz noch nicht erlassen war. Dem gegenüber
wurde von den Klägern geltend gemacht, daß es Pflicht des zuständigen
Ministers gewesen wäre, einen einschlägigen Gesetzentwurf einzubringen, daß
dafür auch ausreichend Zeit gewesen wäre und daß somit das Fehlen des
Gesetzes ein Versäumnis zum Nachteil der Erziehungsberechtigten darstelle.
Der Gerichtshof dagegen sah in der Verabschiedung des Gesetzes überhaupt
keine Vorbedingung für die Rechtskraft des Verfassungsartikels, erklärte es
vielmehr für ein Versäumnis des Ministers, daß er weder von sich aus eine
Elternvertretung ins Leben gerufen noch die aus privater Initiative aufge-
baute Elternvereinigung berücksichtigt habe. Im übrigen gebe der Wortlaut des
Artikels nicht eine Anweisung, die in der Zukunft zu vollziehen sei, sondern
definiere ein bestehendes Anrecht, das mit der Feststellung durch die Verfassung
klagbar ist 1.

Durch diese Entscheidung wurde ein neues Element in die Schulwirklichkeit
eingeführt. Denn die hessische Verfassung ist die erste und bisher einzige Ver-
fassung eines Bundeslandes, die ein Recht der Erziehungsberechtigten auf Mit-
bestimmung im Unterrichtswesen begründet, und mit dem Wiesbadener Urteil
vom 18. 2. 1958 hat dieses Recht zum erstenmal Anerkennung und Anwendung
erlangt 2. Es ist nur begreiflich, daß der Vorgang in der öffentlichkeit, in den
Schulen, in Presse und Rundfunk, in politischen, kirchlichen, juristischen Kreisen

1 Eine beachtenswerte Einschränkung des Klagerechtes gibt das Urteil durch die
Abweisung der Nebenkläger. 28 Abgeordnete des Hessischen Landtages hatten sich der
Klage der Eltern angeschlossen; ihr Antrag wurde mit der Begründung zurückge-
wiesen, daß es sich weder um ein Normenkontrollverfahren noch um ein solches zur
Wahrung der Grundrechte handle, daß sie außerdem durch den Erlaß der Bildungs-
pläne nicht in ihren Rechten als Abgeordnete beeinträchtigt worden seien. Nur die Er-
zichungsberechtigten selbst sind also befugt, eine Beeinträchtigung ihrer Rechte der
bei Mißachtung des Art. 56/6 geltend zu machen.

2 Eine friiher eingebrachte Klage der hessischen CDU gegen das Ministerium für Er-
ziehung und Volksbildung, die sich ebenfalls auf Art. 56/6 H. V. berief, wurde vom
gleichen Gerichtshof am 19. 12. 1957 abgewiesen, weil der angefochtene Verwaltungs-
akt, nämlich die Schließung einer einzelnen Schule, nicht unter den Begriff „Unterrichts-
wesen“ falle, folglich nicht gegen die Verfassung verstoßen könne. — Über den Begriff
„Unterrichtswesen“ s. unten S. 8f.

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