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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 2.1959

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Nr. 3
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Luther, Wilhelm: Stufenabitur zur Entscheidung
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https://doi.org/10.11588/diglit.32957#0043
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Stufenabitur zur Entscheidung

Von Oberstudiendirektor Dr. Wilhelm Luther, Marburg/Lahn

Abdruck aus ,Kasseler Post’ Nr. 202, v. 2. 9. 98. Der Verf. ist Vorsitzender des wiss.
Prüfungsamtes und Inhaber eines Lehrauftrages für altsprachliche Didaktik. Die Red.

Die Stellungnahme des verdienten Schulmathematikers A. Kraft hat ihre Vorge-
schichte: Am 9. 7. 1956 haben sich 14 Direktoren hessischer humanistischer Gymnasien
in einer Denkschrift gegen die neue Stundentafel der hessischen Bildungspläne vom März
1956 gewandt. Ihre Bedenken richteten sich vor allem gegen das Stufenabitur (StA) in
Mathematik. Zu den Unterzeichnern gehörte damals auch Herr Kraft. Wie die Direk-
toren haben sich später auch die Eltern der humanistischen Gymnasien zum StA ab-
lehnend geäußert. Deshalb waren alle Beteiligten sehr überrascht, als Herr Kraft am
10. 1. 57 eine plötzliche Kehrtwendung machte mit der These: „Das Stufenabitur sollte
auch am altsprachlichen Gymnasium eingeführt werden, wenn dies an anderen Gym-
nasien geschieht.“ Dieses unerwartete Ausschwenken aus der Einheitsfront der Direk-
toren und Eltern, die gerade mit dem Kultusministerium in erfolgversprechenden Ver-
handlungen standen, fiihrte zu einer Versteifung der gegensätzlichen Haltung beider
Fronten und hat nicht unwesentlich zu der Entwicklung beigetragen, die mit dem Prozeß
einiger humanistischer Eltern vor dem Hessischen Staatsgerichtshof endete. Herr Kraft
hat dann kurze Zeit später in Verhandlungen mit führenden Elternvertretern (z. B.
Herrn Wagner in Marburg am 23. 2. 57) und mit dem Arbeitskreis der humanistischen
Direktoren (in Frankfurt am 25. 2. 1957) seine Ansicht berichtigt und erklärt, er habe
seine Forderung nur im Hinblick auf die mehrzügigen Gymnasien erhoben, weil an
ihnen keine Ausnahme für den altsprachlichen Zug gemacht werden könne. Für die
eigenständigen Gymnasien gestand er die Beibehaltung der Mathematik als Pflichtfach
in Oberprima (O I) zu. Er persönlich würde es sogar vorziehen, wenn das StA gerade
nicht die Mathematik, sondern einige Nebenfächer wie Erdkunde, Biologie und Chemie
betreffe. In dem hier zur Diskussion stehenden Beitrag hat Herr Krafh wieder seine
Position vom 10. 1. 1957 bezogen und empfiehlt das StA für alle drei Züge des Gym-
nasiums.

Die Gegner in Hessen

Von seiten der neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasien
ist seiner Meinung nach bisher kein Widerstand gegen das StA laut geworden. Nur
ein kleinerKreis von Freunden des humanistischen Gymnasiums stehe in schärfster Oppo-
sition. Gegen den zweiten Satz ist nichts einzuwenden; der erste dagegen stellt eine
völlige Verkennung der Lage dar. Daß die beiden anderen Schularten sich zunächst
ruhig verhalten haben, hängt einmal damit zusammen, daß sie eigene Erfahrungen ab-
warten wollten, zum anderen aber auch mit der Tatsache, daß sie selbst durch die ein-
geführte Neuerung nicht so in ihrem Wesenskern bedroht werden wie das humanistische
Gymnasium. Über dieses ist nämlich durch das StA von vornherein im Sinne einer
Reduzierung des Mathematikunterrichtes vorentschieden, und die Eltern müssen schon
bei der Einschulung bedenken, ob sie für ihre Kinder eine Schulart wählen wollen, die
mehr für künftige Geisteswissenschaftler in Frage kommt als für Mathematiker, Natur-
wissenschaftler, Ingenieure, Architekten, Mediziner, Pharmazeuten, Volkswirtschaftler,
Dipl.-Handelslehrer, -Landwirte, Forstleute usw. Wie aber sollen sie die Eignung schon
im 11. Lebensjahre erkennen können? Das Realgymnasium hat dagegen den Vorteil
einer späten Gabelung in einen neusprachlichen und einen mathematisch-naturwissen-
schaftlichen Zweig. Bei einem 17jährigen Obersekundaner kann man schon eher fest-
stellen, wo seine Begabung und seine Interessen liegen. Das Aufhören der Mathematik

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