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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 3.1960

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Nr. 2/3
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Aus einer Festrede
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https://doi.org/10.11588/diglit.33058#0021
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fahren in der Literatur der Gegenwart, insbesondere der angelsächsischen, daß sich
moderne Existenz in den alten Mythen oft treffender darstellen läßt als in sogenannten
Tatsachenberichten. Aber nicht das ist das Einzige und Entscheidende, was uns zur
Dankbarkeit verpflichtet. Daß wir selbständig denken, nüchtern und sachlich unseren
Standpunkt vor der Geschichte und in der Gegenwart - oft mühsam genug - suchen
und finden können, daß wir um den Wert der Freiheit in ihrer Bindung an Gott und
die Gemeinschaft unbeirrbar wissen, auch daß wir Selbsterkenntnis genug besitzen,
unsere eigenen Fehler wenigstens zu sehen und die uns gesetzten Grenzen: wir ver-
danken es der nachsichtigen, klugen Erziehungsarbeit unserer Lehrer, die uns als wich-
tigstes Bildungsfach Nachdenken lehrten.“ . . . (Die Rede spricht in ihrem Kern vom
Wesen der Freiheit und zieht als Folgerung:)

„Warum, meint denn Ihr, Ihr aktiven Schüier des Archigymnasiums, daß man Euch
mit Plato und Thukydides und mit den lateinischen Klassikern nach Eurer Meinung
quält? Gewiß, das Erlernen der klassischen Sprachen, insbesondere der lateinischen, ist
wesentlich auch Verstandesschulung und Grundlage für das Studium moderner Sprachen;
aber Ihr werdet gleichzeitig mit einer Vergangenheit bekannt gemacht, die Euch be-
fähigt, die Gegenwart, die erregenden Gefahren des Massenzeitalters, den Zusammen-
prall westlicher Freiheit und östlicher Unterdrückung vergleichend beurteilen zu können,
eine Fähigkeit, die ein nicht auf diesem Grundwissen aufbauender Geschichtsunterricht
so nachhaltig kaum zu vermitteln vermag.“ . . .

„Die Erkenntnis der ungeheuren Diskrepanz zwischen Erstrebenswertem und Erreich-
barem belastet unser Gewissen - aber daß es uns so stark und stetig belastet, ist wesent-
lich das Verdienst unserer humanistischen Erziehung, ohne hier auf die einsichtsbildende
Bedeutung christlicher Lehre und Erziehung eingehen zu können, die auf weiten
Strecken sich völlig mit humanistischer Auffassung deckt. Diese Erkenntnis verpflichtet
uns, auszusprechen, daß wir endlich wieder den Mut haben müssen, die Erziehung zur
Elite zu fordern. Eine unbequeme Forderung, vielleicht sogar eine unpopuläre im Zeit-
alter des kollektiven Massendenkens, das immer nur auf den praktisch brauchbaren
Menschen und seine äußere Bewährung abzustellen scheint, den Technokraten, wie er
in den Lernfabriken des Ostens bewußt gezüchtet wird.“ . . .

„Natürlich behaupte ich nicht, daß nur der humanistisch Gebildete um die täglich ge-
fährdete Freiheit weiß, aber er hat schon in seiner Erziehung an griechischer und römi-
scher Geschichte einen Anschauungsunterricht genossen, der ihn verpflichtet, für die
Masse der in stumpfer Selbstzufriedenheit oder Gleichgültigkeit dahinlebenden Mit-
menschen mitzudenken, die nicht das Glück seiner Erziehung hatten. Er ist verpflichtet,
im Rahmen seiner Möglichkeiten die Fackel der Freiheit für alle hochzuhalten, sie nicht
erlöschen zu lassen im Steppenwind einer Kollektivierung, die keine Individualkultur
mehr dulden will.“ . . .

„Wir modernen Fiumanisten glauben, ohne an andere Erziehungsformen rühren zu
wolien, daß das humanistische Gymnasium auch heute den exemplarischen Weg zur
umfassenden Bildung des Verstandes, des Geistes und des Herzens geht. Schule und
Erziehung haben für uns Humanisten andere Aufgaben als die Dressur zu Sklaven der
industriellen Gesellschaft. Wir wollen die Erziehung zum selbständigen Geist, dem
schärfsten Widersacher eines alles normenden Kollektivismus“ . . .

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