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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 3.1960

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Nr. 2/3
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Keller, ...: Exemplarische Behandlung von Kernstellen aus griechischen Schriftstellern: (Plat. Apol. 31, D - 32, Gorgias 456, A - 458, C; Thukyd. V, 84-116)
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Exemplarische Behandlung von Kernstellen
aus griechichischen Schriftstellern

(Plat. Apol. 31, D - 32; Gorgias 456, A - 458, C; Thukyd. V, 84-116)
(Kurzbericht der Arbeitsgruppe: Altsprachliche Gymnasien: Tagung Krefeld vom

5. bis 7. 1. 1959)

Von OStDir. Dr. Keller, Geldern

Entnommen dem Mitteilungsblatt des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im

DAV, VII, 2.

Literatur: K. Büchner, Röm. Lit. Gesch., ihre Grundzüge in interpret. Darstellung,
Kröner 1957. W. Schmitz, Polit. Erz. u. Bildung i. d. Bildungsschule der Demokratie
(höh. Schule 1957). W. Richter, Die alten Sprachen in der neuen Welt, 1957.

Nach den Grundsätzen: „Vom Fachlich-Wichtigen zum Menschlich-Wesentlichen“
und „nicht die Summe, sondern die Intensität ist entscheidend“ oder „mehr Qualität
als Quantität“, die zum objektiven Denken, zu einer grundsätzlichen kritischen Ein-
stellung jeder einzelnen Erscheinung gegenüber und zum Bestreben, jedes Einzelne in den
großen Zusammenhang einzuordnen, führen, sind Texte und Textstellen auszuwählen,
die inhaltlich und formal als besonders wesentlich anzusehen und möglichst tief auszu-
schöpfen sind. Drei Interpretationen sollen das im folgenden veranschaulichen:

1) Plat. Apol. 31 D-32B. Entscheidend für die Interpretation der ganzen Stelle ist
das potentiale Satzgefüge üjt8Lxd{foi|xi dv-djro?i.OLiir]v av in 32A anstelle des zu erwar-
tenden tutEi'zd'öoo und djto?.?iU!.iaL im Hinblick auf die Vielfalt der Ausdrucksmöglich-
keiten des griechischen Optativs. Sokrates wählt hier den Potentialis 1) auf Grund sei-
ner tiefen Weisheit und 2) aus dem Wissen um die tragische Existenz des Menschen. Zu
1) Sokrates weiß von der Möglichkeit, daß die Richter durch überzeugende Darlegung
der Wahrheit und Gerechtigkeit vielleicht doch noch zur Einsicht gelangen können,
denn der Mensch kann zwar irren, aber auch die Wahrheit erkennen und gerecht han-
deln. Zu 2) die tragische Existenz des Menschen kann a) den gerechten Menschen bis zur
Aufgabe seines Lebens zwingen und b) den Menschen trotz des guten Willens schwach
werden lassen, wobei diese Schwäche eiti Versagen des Menschen aufgrund seiner Irr-
tumsfähigkeit, christlich: seiner Sündhaftigkeit ist. Demnach drückt 'ujtsixd'&oijXL av den
Zweifel an der absolutetr Sicherheit, irnmer das Rechte zu vollbringen, aus, ajtoA.OLLirjv av
die kaurn bestehende Hoffnung, daß die zur Vernichtung entschlossene Masse durch eige-
ne Wahrheitserkenntnis oder göttliche Fügung doch noch vom geplanten Unrecht zum
Recht findet. So dienen diese und ähnliche Stellen der Apologie durch die Erarbeitung
der Funktionen der Moduspartikell av beirn Realis, Irrealis und Potentialis um Ver-
ständnis menschlicher Verhaltensweise und erschließen das Verständnis für die Wich-
tigkeit scheinbar unbedeutender fremdsprachlicher Gegebenheiten. Die endgültige Be-
antwortung der sich um 32A ergebenden Fragen bleibt zweckmäßig bis zum Abschluß
der Lektüre der Apologie zurückgestellt, da der Schüler erst dann reif genug ist, ihren
tiefsten Sinn zu erfassen.

2) Plat. Gorgias 456A-458C: Der Gorgias ist beispielhaft für die Fülle von Kern-
stellen zur Behandlung wichtiger Ittterpretationsprobleme (sophistische ejtiöeL^ig — so-
kratischer 8iuA.OYog; Demagogie - Wahrheitsliebe; Philosophie ini Dienste staatsbür-
gerlicher Erziehung usw.). 456A ff. bringt wieder die Gegeniiberstellung vom Realis (den
Sokrates von sich gebraucht, urn seine Irrtumsfähigkeit als feste Tatsache zu bekunden)
und Potentialis (für den vorsichtigen Ausdruck der Meinungen anderer) und kann
durch entsprechende Interpretation den staatsbürgerlichen Erziehungs- und Bildungs-

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