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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 3.1960

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Nr. 2/3
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Keller, ...: Exemplarische Behandlung von Kernstellen aus griechischen Schriftstellern: (Plat. Apol. 31, D - 32, Gorgias 456, A - 458, C; Thukyd. V, 84-116)
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https://doi.org/10.11588/diglit.33058#0023
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wert des antiken Gedankengutes zum Nutzen der Gegenwart verwerten. Das Unver-
mögen zum echten öia^eyecrfrai, das ein öiOQiteiv, uavödveiv und öiödaxeiv eautoug
bedingt, macht das Sachlich-bleiben und ein ehrliches Wahrheitssuchen unmöglich, so daß
die Menschen im Streit auseinandergehen. (Anders 471 D: Sokrates gebraucht Polos ge-
genüber nicht den Optativ mit av, sondern den realen Iterativ der Gegenwart, bzw. den
Futur-Fall, weil es hier ums Ganze geht, um Leben und Tod!). Denn für die Lösung
jedes Problems gibt es für Sokrates nur einen einzigen Methodus zur Wahrheitsfindung:
das öiaA.eY£cdai, das echte Gespräch, den Weg miteinander zum gleichen Ziel. Daraus
erhellt für uns die Gefährlichkeit der Methode der sophistischen eniösi^ig, der Mono-
log der Überredung, wie er im Osten herrscht und auch den demokratischen Westen in
der Praxis zu beherrschen droht. Verwandtes zum Wesen der Dialektik der Gegenwart
(Hegel, Märx, Heidegger) vgl. bei Jak. Hommes, Krise der Freiheit, Pustet Regensburg.

3) Thukyd. V 84—116 (der Melierdialog, Kernstelle Cap. 115) schließt sich in OI
organisch an die Problematik des Gorgias (Macht und Recht) an. (Dazu Ten Holder,
das Meliergespräch, Verlag Schwann; G. Deininger, der Melierdialog, Diss. Erlangen
1939; J. Barion, Macht und Recht, Krefeld 1947). Das auf die Gegenwart bezogene
Interpretationsziel des Dialogs ergibt sich von selbst: Die Fraglichkeit des Freiheits-
begriffes, wenn Beharren im Recht Krieg und Nachgeben Versklavung bedeutet. Die
beiden Partner sind Sprachrohre der beiden entscheidenden Geschichtskräfte, die alle
staatlichen Ordnungsgebilde dieser Welt durchwalten, des Rechtes und der Macht. Wie
vorher bei Sokrates in der Apologie und im Gorgias liegt hier eine echte Grenzsituation
vor, die das Wesen des Menschen am deutlichsten offenbart: die Melier müssen mit Ver-
nichtung der Polis rechnen; für die Athener bedeutet der Bruch des Rechtes, der Ab-
sturz ins Uferlose reiner Willkür, den Anfang ihres Unterganges. Für sie gilt als allei-
niger Rechtsgrund die überlegene Stärke, der stetige Rechtsgrund für jeden imperi-
alistischen Eroberungskrieg. So werden die Melier vom öixaiov zum ouuqDeoov abge-
drängt, das allerdings das xoivöv dyaöov einschließt, d. h. die Billigkeit, die eixöxa
öixaia, mit denen sie das Recht retten wollen. Dessen Ignorieren durch die Athener
beweist, daß es für sie ein objektives, allgemein gültiges Recht nicht gibt und nur der
Erfolg, das ouucpegov, ausschlaggebend ist. Sie denken rein rationalistisch, lehnen für die
Politik alle ethischen Werte radikal ab, während die Melier ihre Rechtsordnung ethisch
fundiert und tief religiös begründet sehen. Hier liegt die organische Verbindung zur
Antigone mit ihrer Grundproblematik menschliche Satzung — göttliches Recht, die m
Antigones Wort öcna jtavougY 1l 0O1jaa gipfelt. — Als Grundbegriffe von bleibender Be-
deutung für die politische Bildung und Erziehung sind aus dem Melierdialog festzu-
halten: 84: aöixeiv 1 als politische Berechnung; ocoxriQia die Existenz des Gemeinwesens;
89: pfjxog Aoywv als sophistische Rhetorik; öiaAoYog als echtes Gespräch, xa öuvaxd
als faktische Macht; 90: xgfiOLUov und oupcpepov als reine Nützlichkeit, xö xoivöv
aYaööv als ethische Grundlage für alle, xd eixöxa öixaia als Billigkeit für alle; 91:
unf|xoog als Verlust der pol. Selbständigkeit; 97: öixaicoua als Rechtsgrund; 98:
docpaAeia als existenzielle Sicherheit; 100: sAeuöepia als Freiheit, nationales Bewußt-
sein; 102: eAnig als Hoffnung auf das Walten der objektiven Gerechtigkeit; 104:
öuvauig und xuyvri Glück hat nur der Tüchtige, der Gerechte, der Gottesfiirchtige
(Melier); Glück hat nur der Mächtige, für den Macht = Recht ist (Athener); aioyuviq
als Ehrgefühl, Nationalbewußtsein.

Ziel der vorliegenden Interpretation war, eine an diesen Grundlinien dargelegte,
auf Wesentliches und Wesenhaftes gehende Behandlung aufzuzeigen, eine innere Kon-
zentration, eine Integration zwischen den kanonischen Werken Apologie, Gorgias,

1 und öixuLOv als die zentralen Begriffe; 87: AoYL^eoöaL
 
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