2. Beschreibung des dann einsetzenden historischen Prozesses (Hauptgesichtspunkt:
Verstärkung der Arbeitsteilung) nicht in passivischen, sondern in aktivischen bzw.
in reflexiv-medialen Verbformen, und zwar in solchen der 1. Person Plural: wir
selber haben uns auf Arbeiten und Funktionen spezialisiert, wir haben sozu-
sagen Spaß daran gehabt, weil jeder dabei die Chance eines Machtgewinns hatte
(wobei sich freilich sehr bald auch Ungleichheiten ergaben, sodaß wir, sofern wir
weniger Erfolg hatten, die anderen mit Neidgefühlen betrachten mußten);
3. Beibehaltung dieser sprachlichen Form auch bei der Beurteilung der gegenwärtigen
Situation: wir haben die Arbeitsteilung zuletzt gewaltig übertrieben, so-
daß wir, durch zunehmendes Von-uns-Wegschieben und Parzellieren von Verant-
wortung (vor allem im technologischen Bereich), jetzt eine nicht nur psychisch un-
erträgliche, sondern objektiv gefährliche Lage geschaffen haben.
,Erwartung zukünftigen Heils', die bei den Befolgern des alten Denkschemas
(vor allem bei Christen und Marxisten) den Schlußpunkt gebildet hatte, würde
also bei diesem Denkansatz entfallen. Es bliebe die nackte Frage, ob und wie
der Mensch, der langezeit seinem Machttrieb zu sehr die Zügel schießen ließ,
zum Zwecke des Überlebens der Gattung diesen Machttrieb wieder reduzieren
könnte6. Die daraus zu ziehende ethische Konsequenz, daß der Einzelne in Zu-
kunft Machtverzicht in Form von Spezialisierungsverzicht (u. U. auf Kosten
seiner beruflichen Karriere) zu üben habe, müßte allerdings auch in ihrer sach-
lichen Problematik gesehen werden: die reine Aufrechterhaltung einer moder-
nen Industriegesellschaft, und damit die Sicherung des Lebens von Millionen
Menschen, ist nur bei einem relativ hohen Grad von Arbeitsteilung möglich. Dies
für den Bereich der Daseinsvorsorge (jtaQaaxeuf] xoü ßiou) zugestanden7, bliebe
gleichwohl zu überlegen, ob nicht wenigstens und zunächst einmal in jenen
Disziplinen, die primär der Reflexion über das menschliche Dasein dienen,
gewisse ,Ent-Spezialisierungenc möglich wären.
Der Leitbegriff, unter den entsprechende Bemühungen gestellt werden könn-
ten, ließe sich abstrakt etwa in die Formel ,Verstärkung der menschlichen Kom-
munikation' zusammendrängen. Vielleicht könnten z. B. fachterminologische
Gehege, mit denen sich derzeit Philosophen von Philosophen (und erst recht
von Nicht-Philosophen) abgrenzen, im Interesse einer allgemeineren Kontrol-
lierbarkeit der gedanklichen Substanz beschnitten werden. Und vielleicht könn-
ten wir selber als Latinisten und Gräzisten, statt in ängstlichem Wettlauf mit
der Zeit auf immer schärfere ,Profilierung' unserer Fächer bedacht zu sein, etwas
Dahinlebens befunden, dann jedoch, sei es durch eigene Kraft oder (wie z. B. der
wieder mythisch redende Protagoras meint) mit Hilfe der Götter, sich daraus
e m p o r gearbeitet habe. Auch an das berühmte erste Stasimon in Sophokles’ Anti-
gone ist hier zu denken (vgl. die folgende Anmerkung).
6 Diese Frage würde vermutlich ein Sophocles redivivus (siehe Anm. 5) gut verstehen;
vgl. die in seinem Begriff der öeivörrig (Antig. 332 f.) steckende Anthropologie sowie
die in den Worten oocpov xi xo pqyavoev etc. (364 ff.) angedeutete Alternativ-
Struktur der menschlidien Entscheidung.
7 Vgl. Patzer, H.: Aktuelle Bildungsziele und altsprachlicher Unterricht, in: Mittei-
lungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes, 15. Jahrgang, Nr. 1, S. 1-14, in
diesem Zusammenhang besonders S. 4 f.
4
Verstärkung der Arbeitsteilung) nicht in passivischen, sondern in aktivischen bzw.
in reflexiv-medialen Verbformen, und zwar in solchen der 1. Person Plural: wir
selber haben uns auf Arbeiten und Funktionen spezialisiert, wir haben sozu-
sagen Spaß daran gehabt, weil jeder dabei die Chance eines Machtgewinns hatte
(wobei sich freilich sehr bald auch Ungleichheiten ergaben, sodaß wir, sofern wir
weniger Erfolg hatten, die anderen mit Neidgefühlen betrachten mußten);
3. Beibehaltung dieser sprachlichen Form auch bei der Beurteilung der gegenwärtigen
Situation: wir haben die Arbeitsteilung zuletzt gewaltig übertrieben, so-
daß wir, durch zunehmendes Von-uns-Wegschieben und Parzellieren von Verant-
wortung (vor allem im technologischen Bereich), jetzt eine nicht nur psychisch un-
erträgliche, sondern objektiv gefährliche Lage geschaffen haben.
,Erwartung zukünftigen Heils', die bei den Befolgern des alten Denkschemas
(vor allem bei Christen und Marxisten) den Schlußpunkt gebildet hatte, würde
also bei diesem Denkansatz entfallen. Es bliebe die nackte Frage, ob und wie
der Mensch, der langezeit seinem Machttrieb zu sehr die Zügel schießen ließ,
zum Zwecke des Überlebens der Gattung diesen Machttrieb wieder reduzieren
könnte6. Die daraus zu ziehende ethische Konsequenz, daß der Einzelne in Zu-
kunft Machtverzicht in Form von Spezialisierungsverzicht (u. U. auf Kosten
seiner beruflichen Karriere) zu üben habe, müßte allerdings auch in ihrer sach-
lichen Problematik gesehen werden: die reine Aufrechterhaltung einer moder-
nen Industriegesellschaft, und damit die Sicherung des Lebens von Millionen
Menschen, ist nur bei einem relativ hohen Grad von Arbeitsteilung möglich. Dies
für den Bereich der Daseinsvorsorge (jtaQaaxeuf] xoü ßiou) zugestanden7, bliebe
gleichwohl zu überlegen, ob nicht wenigstens und zunächst einmal in jenen
Disziplinen, die primär der Reflexion über das menschliche Dasein dienen,
gewisse ,Ent-Spezialisierungenc möglich wären.
Der Leitbegriff, unter den entsprechende Bemühungen gestellt werden könn-
ten, ließe sich abstrakt etwa in die Formel ,Verstärkung der menschlichen Kom-
munikation' zusammendrängen. Vielleicht könnten z. B. fachterminologische
Gehege, mit denen sich derzeit Philosophen von Philosophen (und erst recht
von Nicht-Philosophen) abgrenzen, im Interesse einer allgemeineren Kontrol-
lierbarkeit der gedanklichen Substanz beschnitten werden. Und vielleicht könn-
ten wir selber als Latinisten und Gräzisten, statt in ängstlichem Wettlauf mit
der Zeit auf immer schärfere ,Profilierung' unserer Fächer bedacht zu sein, etwas
Dahinlebens befunden, dann jedoch, sei es durch eigene Kraft oder (wie z. B. der
wieder mythisch redende Protagoras meint) mit Hilfe der Götter, sich daraus
e m p o r gearbeitet habe. Auch an das berühmte erste Stasimon in Sophokles’ Anti-
gone ist hier zu denken (vgl. die folgende Anmerkung).
6 Diese Frage würde vermutlich ein Sophocles redivivus (siehe Anm. 5) gut verstehen;
vgl. die in seinem Begriff der öeivörrig (Antig. 332 f.) steckende Anthropologie sowie
die in den Worten oocpov xi xo pqyavoev etc. (364 ff.) angedeutete Alternativ-
Struktur der menschlidien Entscheidung.
7 Vgl. Patzer, H.: Aktuelle Bildungsziele und altsprachlicher Unterricht, in: Mittei-
lungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes, 15. Jahrgang, Nr. 1, S. 1-14, in
diesem Zusammenhang besonders S. 4 f.
4