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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 18.1975

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Nr. 3
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Schönberger, Otto: Anmerkungen zur Beziehung der Sprachen Latein und Deutsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.33069#0042

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Man kann nämlich sagen, daß die deutsche Sprache bis in die Gegenwart hinein
zu einem hohen Grade von Nachahmungen und Übernahmen aus dem Lateini-
schen lebt.
Dies gilt für die Lehn- und Fremdwörter, was ja allgemein bekannt ist und
in Büchern wie im Laien-Latein von Uhle (Gotha 1920), dem Lebendigen Latein
• von Wolff (Berlin 1966) und in Wortkunden vielfach dargestellt ist. Ähnliches
wird in Mutter Latem und ihre Töchter von Vossen geboten.
Sehr wichtig wäre es, einmal zu untersuchen, wie in die deutsche Sprache Wör-
ter und Lehnübersetzungen wie „Glück“, „Schicksal“, „das Gute“, „Ordnung“
und andere halbphilosophische Begriffe übernommen wurden. Der Verdacht,
daß ganze Reihen „weltanschaulicher“ Wörter aus dem Latein stammen, ist nicht
auszuschließen.
Noch wenig erforscht sind die eigentlichen Lehnübersetzungen aus dem Latei-
nischen im Deutschen (Calques linguistiques) etwa des Typs „sein Heil in der
vFlucht suchen“ (nach fuga salutem petere). Derartige Lehnübersetzungen finden
sich in hoher Anzahl in der deutschen Phraseologie und beweisen, daß unsere
Sprache auch mit solchen Entlehnungen nicht selten bereichert wurde (wobei man
für das angeführte Beispiel freilich Zweifel äußern könnte).
Wer weiß, daß die Entwicklung einer anspruchsvollen Syntax in einer noch
unentwickelten Sprache viel schwerer ist als die Übernahme einiger. Fremd-
wörter, und wer einmal auf solches phraseologische und syntaktische Lehngut
eine Zeitlang geachtet hat, wird gerade diesem Teil unserer geistigen Entwick-
lung Aufmerksamkeit schenken, ein Interesse übrigens, das sich unmittelbar für
den Unterricht bezahlt macht.
Nicht wenige Bereiche der deutschen Grammatik verdanken vermutlich dem
Latein ihre Gestaltung. So ist eine Periode wie „Als ich ihn gesehen hatte, war
ich sehr erfreut“ wohl kaum ohne den Einfluß der lateinischen Consecutio tem-
porum zustande gekommen, und „ich zweifle nicht, daß . . .“ ist glatte Lehn-
übersetzung. Nicht anders wird es mit einem Typus stehen wie „Wenn ich nicht
krank gewesen wäre, hätte ich Sie natürlich besucht“. Solche Sätze hätte das
Deutsche vermutlich von sich aus nicht so leicht gebildet. Ob diese Art des latei-
nischen „Fortlebens“ schon untersucht ist, weiß ich nicht.
Ebenso wenig behandelt ist meines Wissens das Verhältnis der deutschen
Konjunktionen zur lateinischen Geburtshelferin. So ist eine einschränkende
Konjunktion wie „allein“ vermutlich isoliert aus dem Lehn-Übersetzungstyp
„nicht allein (nur) - sondern auch“ usw.
Vermutlich würde eine Untersuchung dieser Einflüsse erst einmal deutlich
machen, wie stark hier die Übernahmen waren. Viele Menschen leben und den-
ken sprachlich in viel mehr Lehngut, als sie glauben.
Von einer weiteren Wirkung des Lateinischen auf unsere Sprache und Lite-
ratur sei abschließend gesprochen, vom Einfluß auf den literarischen Stil.
Es ist bekannt, wie sehr deutsche Schriftsteller in der Vergangenheit stilistisch
auch das Vorbild antiker Autoren Beachteten. Einige Hinweise dazu bietet das
höchst nützliche Werk von Mauriz Schuster, Altertum und deutsche Kultur,
Wien 1926.

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