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Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Corot, Jean-Baptiste-Camille [Ill.]
Corot — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.27162#0029
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21

Vorgänger

WENN DIE KUNSTGESCHICHTE EINST, HOFFEN WIR IN HUNDERT JAHREN,
von der allein seligmachenden Schachtelung des Historikers loskommt und man die Künst-
ler nicht mehr wie Hotelgäste ausschließlich nach Geburtsort und Datum, sondern nach
ihrem Wesen fragen wird, wenn es nicht um die Vollständigkeit einer endlosen und un-
endlich willkürlichen Namcnliste geht, sondern die Träger der Anschauung gesucht wer-
den, dann kann es zu einer gründlichen Umschichtung der Museen kommen, geeignet, die
Last, die heute den Genuß beeinträchtigt und manchen Kunstfreund, nicht zuletzt den
Künstler, fernhält, zu verringern und den Nutzen der Institute zu erhöhen. Man denke
sich die Meister nach Familien geordnet, den Kreis ihrer Vorgänger und Nachfolger.
Kein einfaches Verfahren, leichter beschrieben als ausgeführt. Es gehört, selbst wenn
die unentbehrlichen Glieder der Kette vorhanden sind, viel Takt zu der Darstellung,
damit der Versuch nicht in Dilettantismus gerät. Nie läßt sich die Stabilität der Jahres-
zahlen und geographischen Grenzen erreichen. Nur fragt es sich, ob wir mit loseren
Kategorien nicht zu solideren Begriffen kämen. Auch hier gilt die Forderung Kants, dem
Wissen die Grenze zu weisen, um dem Glauben freie Bahn zu lassen.

Die Ordnung des Historikers alten Stils kann für den Künstler schreiende Unordnung
werden und die Zirkulation des Geistes, die erleichtert werden sollte, hindern. Man
könnte in manchen Museen glauben, der Zufall heiße die Genies, kommen und gehen,
und nicht ihre Energie, sondern die Masse der Unberufenen diktiere die Geschichte.
Dieses Kollektivum hat keinen Corot getragen. Es muß Kleinmeister geben, schlichte
Handwerker des Geistes, die das bescheidene Format ihrer Aufgabe mit Vollkommenheit
ausfüllen. Nicht sie hemmen denVerkehr. Sie stellen kleine Etappen zwischen die weiten
Entfernungen, und es kommt nur darauf an, sie richtig unterzubringen. Die Störenfriede
im Tempel sind die immer Unverwendbaren, die überlauten Wechsler, die das Wort der
Bekenner ins Phrasenhafte fälschen und nicht mit Kilometern genug haben, um ihre
Nichtigkeit aufzublähen. Ohne sie wäre in jedem Museum für die Darstellung des Genies
Platz genug. Die Gruppierung hätte die legitime Verwandtschaft zusammenzurufen. Da
die Teilnehmer an einer Sippe auch von einer anderen reklamiert werden könnten, ließen
sich die Zusammenstellungen unter Umständen nur vorübergehend als Familientage durch-
führen. Das täte dem Gewinn aus solchen Festen keinen Abbruch und es könnte das
Museum von dem Odium befreien, eine nicht willkürliche Entwicklung, die das Werk
beweglich gemacht hat, übersehen zu wollen. Der Nagel, an dem ein Bild hängt, ist
kein Heiligtum.
 
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