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Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Corot, Jean-Baptiste-Camille [Ill.]
Corot — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.27162#0093
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DIE ORDNUNG NACH GEGENSTÄNDEN GILTIM ALLGEMEINEN MIT RECHT
für ein Mittel veralteter Kunstbetrachtung, weil damit das Interesse den wesentlichen
schöpferischen Faktoren entzogen und die Einsicht in die Entwicklung gehindert werden
kann. Die Gefahr wird um so drohender, wenn die gegenständliche Kategorie nicht etwa
an zeitliche Grenzen gebunden ist sondern sich über das ganze Oeuvre erstreckt. Nichts
wäre willkürlicher, als das Werk Delacroix’ so zu zergliedern und z. B. Tierbilder und
Historien zu unterscheiden. Bei der Betrachtung Corots ist solche Einteilung nicht zulässig
sondern geboten. GeAvisse gegenständliche Kategorien sind hier gegebene Tatsachen von
Bedeutung, und der Betrachter folgt nur dem Meister, der nach und nach weitere nach
Motiven bestimmbare Gebiete seinem Wirken zufügte. Wohl übertrug er auf alle seine
Wärme, seine Einfalt, aber Avir haben schon in dem bisher betrachteten Zeitraum gesehen,
wie auffallend sich dabei seine Form veränderte. Er war ein anderer draußen und im Atelier.
Wir haben uns an die beiden Corot gewöhnt, und inzwischen hat sich die komponierte
Landschaft weiter differenziert, und es ist zu Gegensätzen Avie Lyrik und Drama gekom-
men. Das Auftreten jeder neuen Kategorie wirkte willkürlich und kam mit gefährlichen
Eingriffen in den vorher erworbenen Besitz zustande. Dann wurde die scheinbar zufällig
angeschwemmte Zutat homogener Bestandteil. Das Alter Corots bringt eine neue oder
vorher wenigstens nur flüchtig berührte Kategorie. Sie entsteht im Atelier und entgeht
allen mit den im Atelier komponierten Landschaften verbundenen Gefahren, hebt sich
von den anderen Gebieten mit auffallender Schärfe ab und ist mit Genauigkeit kaum zu
bestimmen. Die Landschaft, die in den anderen führt oder begleitet, verschwindet oder
tritt ganz zurück. Objekt Avird der Mensch. Wäre er nicht oft auf besondere Art kostü-
miert, könnte man Bildnis sagen. Das Physiognomische entscheidet, und das müßte in
der Definition vor allem betont werden, nur gibt die Art weniger als Bildnis und bedeutend
mehr. Eben diese Beziehung zum Bildnis, auf die es ankommt, läßt sich mit einem Wort
nicht formulieren, denn sie ist für Corot und allein für ihn eigentümlich. Alle Bilder
Avurden nach Berufsmodellen gemalt oder nach Leuten, die sich aus Gefälligkeit hergaben
und nicht daran denken konnten, sich bei Corot ein Porträt zu bestellen. Das Bildnis-
hafte der Art legt die Annahme nahe, Corot müsse jetzt öfter als früher porträtiert haben.
Das Gegenteil trifft zu. Bestellungen entzog er sich. Auch die Porträts nach Verwandten
und Freunden, zu denen man ihn früher leicht bewegen konnte und die schlecht und
recht das Daguerreotyp ersetzten, werden immer seltener. Nur sehr Avenige fallen in das
Jahrzehnt zwischen 1850 und 60, gerade als die Kategorie, die uns hier interessiert, in
 
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