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Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Corot, Jean-Baptiste-Camille [Ill.]
Corot — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.27162#0060
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52

Ber

IM SALON ACHTZEHNHUNDERTVIERZIG GALT DAS HAUPT-INTERESSE DEM
„Petit Berger“ (XXV). Er wurde vom Staate angekauft und kam nach Metz ins Museum.
Mit dem „Demokrit“ des nächsten Salon erschien eine Landschaft, die nach dem Katalog
derUmgegend von Neapel entnommen war. Im Hintergründe tanzte ein bäurisches Paar die
Tarantella (R377). Die getragene Stimmung des „Demokrit“ entschied bei den Denkern
den Erfolg, aber auch die Tarantella gefiel, und das können wir, trotzdem die Epidermis
der Leinwand im Laufe der Zeit schwer gelitten hat, auch heute noch nachfühlen. Die
nächsten Salons bringen Szenen ähnlicher Art mit nackten und bekleideten Figiirchen.
Auch diesen Szenen fehlt die Spontanität des Landschafters, und sie wurden nicht von der
Natur abgelesen. Man merkt es an der zögernden Handschrift und der unbestimmten Farbe,
an der unsicheren Bauart. Diese Unsicherheit verstimmt nicht. Wenn hier die Energie
des baulichen Landschafters nachläßt und seine Helligkeit in Dämmerung übergeht, läßt
uns die Art des Gegenstands die Zaghaftigkeit begreifen, und wir suchen, zu folgen. Die
„Hagar“, der „Mönch“, der „Demokrit“ waren nicht zaghaft. Sie verbargen ihre Un-
sicherheit unter einer zurechtgemachten, allzu festen Formel und forderten die Abwehr
heraus. Diese neuen Salonbilder verlocken uns. Der Landschafter winkt uns schüchtern,
mitzukommen, ohne selbst recht zu wissen, wohin es geht. Draußen vor den „Fabriken“
wußte man immer gleich. Alles stand da, nur zugreifen, und man spannte sich zur Eile. Hier
schleicht ein Liebhaber durch die Büsche, bleibt stehen, schaut sich um, tastet weiter,
biegt vorsichtig die Hindernisse zurecht. Ein Sich-durch-Pfuschen, denn die Natur ist
nicht so, könnte nur unter nicht festzustellenden Bedingungen so sein, und das einzige,
Avas die Mogelei entschuldigt, ist der Freimut, mit dem man uns in die Karten sehen läßt.
Nicht wir werden bemogelt, sondern die Natur, und wie immer, wenn es sich um einen
Dritten handelt, tun wir mit, und es freut uns, der guten Sitte eine Nase zu drehen.
Am Ende des Schwindels steht meistens eine Wahrheit.

Der Petit Berger ist ein nackter Junge. Er lehnt an einem Baum hart am Ufer des Bachs
und bläst die Flirtenflöte. Im Bach klettern Ziegen über Steine. Man sieht sie nicht gleich.
In die Augen springt das Profil des Jungen. Warum ist er nackt? Er scheint mehr dem
Spaß am Flöteblasen als dem Zweck, die Herde zu sammeln, hingegeben. Geht es an,
Ziegen im Bach grasen zu lassen? — So würde man fragen, wenn ein biblischer oder archäo-
logischer Apparat uns zum Widerspruch reizte, aber dafür ist der Junge zu ungeschickt
in Positur gestellt, und die Ziegen sind drollige Vierfüßler, deren Munterkeit die Land-
schaft zerpflücken möchte. Das Unzweckmäßige der Handlung entwaffnet uns. So könnte
 
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