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Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Corot, Jean-Baptiste-Camille [Ill.]
Corot — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.27162#0087
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auch nicht die Naiven früher Zeiten, nicht einmal die glorreiche Gestalt Grecos bei Casa
Tortes, kommt dieser Einfalt nahe; eine ganz unkirchliche Einfalt. Im Hintergrund
unseres Empfindens taucht einen Augenblick die hirtenhafte Melancholie Giogiones auf.
Ein ganz unchristliches Bild. Die Pfeile hindern diesen Sebastian nicht, Liebesgebete zu
flüstern. — In die endgültige Fassung, bei den Bernheim, dringt schon eine Spur kirch-
lichen Märtyrertums, dreht den Kopf, gibt ihm die Klagestellung, fesselt stärker die
Hände, engt den fruchtbaren Schatten um das Antlitz. Die Gestalt ist über die Knie
hinaus sichtbar und das Format fast noch einmal so groß, der Ausdruck nicht reicher.
Dieser Sebastian weiß schon eher, warum er an dem Baum steht, obwohl die Pfeile feh-
len. — Die Skizze, heute im Louvre, hing lange Zeit zwischen den vielen Delacroix der
Sammlung Cheramy, nahe der kleinen Fassung des Ölbergs. Hier vermischte sich die
Grenze zwischen den beiden, in denen man sonst Gegensätze wie Sturm und Frieden
zu sehen gewohnt ist. Nicht einmal die Mittel entfernten sich in solchen Bildern in un-
überbrückbarem Maße, und vollends unzulänglich erschien der oft wiederholte Ver-
such, entscheidende Unterschiede des Temperaments geltend zu machen.

Die Keime des Dramatikers waren Wucherungen, kaum von dem Unkraut auf dem Boden
der komponierten Landschaft zu unterscheiden. Sorgsamer auf Ordnung im Hause be-
dacht, hätte Corot der Lockung solcher Anlässe widerstanden. Er überläßt sich unbedenk-
lich, wahrscheinlich zunächst nur von dem Wunsch bestimmt, dem Salon eine Abwechse-
lung zu bieten. Die Rücksicht auf die Grenzen seiner Art beunruhigten ihn nicht. Er
wird sogar bis zum gewissen Grade seinem Worte untreu, denn die Hinnahme Delacroix’
widerspricht seiner oft betonten Vorstellung von der notwendigen Eigenheit des Künst-
lers, Ein Manierist kann kaum vorurteilsloser handeln. Dieser Leichtsinn, oder wie man
sein Verhalten nennen will, schenkt ihm bedeutende Werte und führt zu einer Erweite-
rung des Wirkungsfeldes. Das Glück verfolgt ihn. Wir haben hier nur eine unmittelbare
Folge betrachtet. Die weiteren Folgen des Manierismus sind noch positiver.
 
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